Als Steuerstrafverteidiger erhält man Akteneinsicht im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Es gilt der Grundsatz der Aktenvollständigkeit: Alle Schriftstücke u. ä., aus denen sich schuldspruch- oder rechtsfolgenrelevante Umstände ergeben können, müssen zu den Akten genommen werden und dürfen der Akteneinsicht nicht vorenthalten werden (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, § 147 Rn. 14f.).
Geschwärzte Steuerstrafakten …
Im Steuerstrafverfahren, insbesondere wenn es mehrere Mitbeschuldigte gibt, erhält man als Verteidiger manchmal Akten und Beiakten, die teilweise geschwärzt oder abgedeckt sind. Begründet wird dies dann von der BuStra oder Staatsanwaltschaft mit dem Steuergeheimnis (§ 30 AO), das bei Drittbetroffenen (z. B. Mitbeschuldigten) zu beachten sei.
… sind unzulässig
Eine Schwärzung bzw. Abdeckung ganzer Seiten und auch einzelner Passagen der Ermittlungsakten unter Berufung auf das Steuergeheimnis ist jedoch unzulässig. Dem Verteidiger steht ein umfassendes Einsichtsrecht in alle Ermittlungsakten der BuStra bzw. Staatsanwaltschaft zu (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 147 Rn. 15 m. w. N.).
Steuergeheimnis gilt nicht
Das Steuergeheimnis aus § 30 AO steht dem nicht entgegen. Es gilt nicht absolut, sondern ist durch einen Katalog von Durchbrechungen gekennzeichnet (§ 30 Abs. 4 AO). Hier kommen insbesondere § 30 Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2 AO in Betracht. § 147 StPO (i. V. m. § 385 Abs. 1 AO) ist als „Gesetz“ im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO zu verstehen (Müller-Jacobsen/Peters, wistra 2009, 458; LG Frankfurt am Main v. 29.06.2005, 5/2 AR 3/2005). Zudem dient die Akteneinsicht auch zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Steuerstraftat i. S. v. § 30 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1b AO (Müller-Jacobsen/Peters, wistra 2009, 458).
Keine Besonderheiten bei mehreren Beschuldigten
Für einheitliche Verfahren gegen mehrere Beschuldigte gelten keine Besonderheiten, so dass, wenn die Kenntnis der die Mitbeschuldigten betreffenden Steuergeheimnisse zu Verteidigungszwecken erforderlich ist, Akteneinsicht auf jeden Fall auch in die den Mitbeschuldigten betreffenden Vorgänge gewährt werden muss (Burkhard, DStR 2002, 1794).
„Vorauswahl“ durch Ermittler unzulässig
Eine unter Ausschluss der Verteidigung des Beschuldigten vorgenommene Prüfung einzelner Aktenbestandteile darauf, ob sie schuldspruch- oder rechtsfolgenrelevant für den Beschuldigten sein könnten oder nicht, steht den Strafverfolgungsbehörden ihrer Aufgabe nach nicht zu.
Um der besonderen Bedeutung der Akteneinsicht für den effektiven Grundrechtsschutz des Beschuldigten Rechnung zu tragen, muss der Verteidiger vielmehr in die Lage versetzt werden, die Verteidigungsrelevanz einzelner Unterlagen selbständig und eigenverantwortlich zu überprüfen. Dies setzt einerseits voraus, dass er unbeschränkten Zugang zu den gesamten für das Verfahren gesammelten Unterlagen erhält und andererseits, dass jegliche inhaltliche Vorauswahl durch die Strafverfolgungsbehörden unterbleibt (Müller-Jacobsen/Peters, wistra 2009, 458 m. w. N.).
Effektive Verteidigung
Jede Schwärzung oder Abdeckung von Aktenbestandteilen bedeutet eine unvollständige Information und behindert die Verteidigung. Der Schutz von personenbezogenen Daten Dritter tritt insoweit hinter das Interesse des Verfolgten an einer effektiven Verteidigung und den rechtsstaatlichen Anforderungen an eines faires Verfahrens zurück. Dies gilt auch für das Gericht, dem die Akten ebenfalls vollständig, d. h. frei von Schwärzungen, zugänglich zu machen sind (Müller-Jacobsen/Peters, wistra 2009, 458 m. w. N.).
Fazit
Der Steuerstrafverteidiger sollte schon im Ermittlungsverfahren die Unvollständigkeit der Ermittlungsakten rügen und hinsichtlich der geschwärzten bzw. abgedeckten Aktenteile ergänzende Akteneinsicht beantragen.