Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Category: Referenzfälle

  • Finanzgerichtsverfahren: Rücknahme oder Erledigungserklärung bei Abhilfe des Finanzamtes?

    Nicht selten kommt es vor, dass das Finanzamt im laufenden Finanzgerichtsverfahren abhilft.

    Teilweise Abhilfe des Finanzamtes im AdV-Verfahren

    Aktueller Beispielsfall: Für eine Mandantin beantragte ich beim Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung (AdV) von Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheiden. Nachdem ich den AdV-Antrag begründete, gewährte das Finanzamt von sich aus die AdV der Einkommensteuerbescheide.

    Daraufhin erhielt ich folgende Aufforderung vom Finanzgericht:

    „Teilen Sie bitte mit, ob Sie den Aussetzungsantrag bzgl. der Einkommensteuer … aufrechterhalten oder ggf. zurücknehmen.“

    Antragsrücknahme: Kosten- und Haftungsfalle

    Beides ist eine böse (Kosten-)Falle: Hält man den Antrag vollumfänglich aufrecht, besteht aufgrund der teilweisen Abhilfe des Finanzamtes kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für eine AdV der Einkommensteuerbescheide. Der Antrag wäre insoweit unzulässig und müsste in diesem Punkt kostenpflichtig abgewiesen werden (§ 135 Abs. 1 FGO).

    Erklärt man die Rücknahme des Antrags (bezogen auf die Einkommensteuer), trägt der Antragsteller (= meine Mandantin) gemäß § 136 Abs. 2 FGO zwingend die Kosten des Verfahrens. Eine andere Kostenentscheidung ist nicht möglich.

    Richtigerweise ist hier der Rechtsstreit in der Hauptsache (teilweise, nur bezogen auf die Einkommensteuer) für erledigt zu erklären. In diesem Fall muss das Gericht prüfen, wer den Rechtsstreit voraussichtlich verloren hätte. Diesem sind dann die Kosten aufzuerlegen. Im Fall einer Abhilfe – wie in meinem Beispielsfall – sind grundsätzlich dem Finanzamt die Kosten aufzuerlegen (§ 138 Abs. 1, Abs. 2 FGO).

    Praxis-Tipp

    Vorsicht also vor einer unüberlegten Rücknahme eines AdV-Antrags oder einer Klage, wenn stattdessen eine Erledigungserklärung in Betracht kommt. Anderenfalls schneidet man der Mandantschaft einen Kostenerstattungsanspruch ab.

    Auch bei einer Kostenentscheidung gemäß § 138 Abs. 2 FGO darf berücksichtigt werden, dass Tatsachen oder Beweismittel verspätet vorgetragen wurden (§ 138 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 137 FGO).

    Im geschilderten Fall ist fraglich, ob das Finanzgericht mich bewusst „ins offene Messer laufen lassen“ wollte oder die Aufforderung zur Rücknahme einfach nur „schlampig“ formuliert war.
  • GmbH-Geschäftsführerin: Finanzamt sieht nach Anhörung von Haftungsinanspruchnahme ab

    Bevor das Finanzamt einen Haftungsbescheid erlässt, wird es den (potenziellen) Haftungsschuldner normalerweise anhören. Im Anhörungsschreiben legt das Finanzamt dar, dass ein bestimmter Haftungstatbestand erfüllt sei. Hierzu können dann Einwendungen vorgetragen werden.

    Wenn man als Berater nach Prüfung erkennt, dass der Haftungstatbestand nicht vorliegt oder beispielsweise Festsetzungsverjährung eingetreten ist, bietet es sich an, das vorzutragen.

    Beabsichtigte Haftungsinanspruchnahme als KG- bzw. GmbH-Geschäftsführerin

    In einem aktuellen Fall erhielt meine Mandantin Ende 2022 ein Anhörungsschreiben des Finanzamtes, wonach beabsichtigt sei, sie als ehemalige Geschäftsführerin einer GmbH für die Steuerschulden einer GmbH & Co. KG, deren Komplementärin die GmbH war, in Haftung zu nehmen.

    Bei den Steuerschulden handelte es sich um Umsatzsteuer 2013 und 2014 zzgl. Säumniszuschläge (insgesamt ca. 42.000,00 €). Dabei ging das Finanzamt von einem Haftungszeitraum vom 22.08.2019 bis 02.11.2022 aus.

    Einwendung 1: Erlöschen der Vertretungsbefugnis

    Nach Prüfung des Sachverhalts wurde festgestellt, dass die Vertretungsbefugnis schon vor Beginn des Haftungszeitraums erloschen war, denn meine Mandantin wurde bereits Ende 2018 als Geschäftsführerin abberufen. Das trug ich dem Finanzamt vor.

    Daraufhin entschuldigte sich das Finanzamt – man sei von einem falschen Haftungszeitraum ausgegangen. „Der Beginn des Haftungszeitraums“ sei vielmehr „auf den 31.01.2015 zu datieren.“ An einer Haftungsinanspruchnahme hielt das Finanzamt fest.

    Einwendung 2: Festsetzungsverjährung

    Ich erwiderte gegenüber dem Finanzamt, wenn nunmehr auf (angebliche) Pflichtverletzungen in den Jahren 2014, 2015 oder 2016 abgestellt werde, dann sei jedenfalls Festsetzungsverjährung eingetreten (§ 191 Abs. 3 S. 2 und S. 4 i. V. m. § 171 Abs. 10 AO). Die zweijährige Umsetzungsfrist aus § 171 Abs. 10 AO sei schon abgelaufen. Ich bat daher nochmals um schriftliche Bestätigung, dass von einer Haftungsinanspruchnahme meiner Mandantin abgesehen werde.

    Finanzamt lenkt ein – Haftungsbescheid verhindert

    Dem kam das Finanzamt jetzt nach. Es teilte schriftlich mit, dass

    „von einer Haftungsinanspruchnahme bzgl. der Steuerschulden der o. g. Gesellschaft … abgesehen“

    wird.

    Praxis-Tipp

    Wermutstropfen: Leider muss das Finanzamt die Beraterkosten für das Haftungsprüfungsverfahren nicht erstatten. Die Beraterkosten sind aber grundsätzlich (nachträgliche) Werbungskosten bei den Einkünften als Geschäftsführerin. Maßgeblich ist das Abflussprinzip.
  • Keine verdeckte Gewinnausschüttung auf Gesellschafterebene

    In einem Beitrag aus März 2021 berichtete ich über die Einstellung eines Steuerstrafverfahrens, in dem es um den Vorwurf fingierter Beraterverträge und damit zusammenhängender verdeckter Gewinnausschüttungen ging.

    Steuerrechtliches „Nachspiel“ auf Ebene der GmbH

    Parallel zum Steuerstrafverfahren erließ das Finanzamt geänderte Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerbescheide gegenüber der GmbH und rechnete darin verdeckte Gewinnausschüttungen hinzu. Bemessungsgrundlage waren die an einen Berater der GmbH gezahlten Honorare, die das Finanzamt anzweifelte.

    Dagegen legte ich für die GmbH Einspruch ein. Nach abgeschlossenem Einspruchsverfahren erhob ich Klage zum Finanzgericht. In einem Erörterungstermin wies die Finanzrichterin darauf hin, dass die vom Finanzamt behaupteten, aber nicht nachgewiesenen Rückflüsse der Beraterhonorare an meinen Mandanten ein Problem für das Finanzamt sei. Nach ihrer vorläufigen Auffassung sei keine verdeckte Gewinnausschüttung nachgewiesen, zumindest nicht auf Ebene des Gesellschafters.

    Letztendlich könne aber offen bleiben, ob es sich bei den Beraterhonoraren um verdeckte Gewinnausschüttungen handele oder nicht. Jedenfalls sei die betriebliche Veranlassung der gezahlten Honorare nicht hinreichend dokumentiert und nachgewiesen, so dass insoweit kein Betriebsausgabenabzug in Betracht komme. Die Klage habe daher schon aus diesem Grund keinen Erfolg. Daher nahm ich die Klage im Erörterungstermin zurück.

    Dass die Klage betreffend die GmbH „so oder so“ keinen Erfolg haben würde, war vorhersehbar und mit dem Mandanten abgestimmt. Gleichwohl war die Klage erforderlich, um ein „Signal“ des Finanzgerichts zur Frage der verdeckten Gewinnausschüttung zu erhalten. Dieses „Signal“ war enorm wichtig für das Besteuerungsverfahren beim Gesellschafter (meinem Mandanten).

    Keine verdeckte Gewinnausschüttung beim Gesellschafter

    Neben den Änderungsbescheiden gegenüber der GmbH hatte das Finanzamt auch geänderte Einkommensteuerbescheide gegenüber meinem Mandanten (GmbH-Gesellschafter) erlassen. Darin waren die vermeintlichen verdeckten Gewinnausschüttungen bei ihm als Einkünfte aus Kapitalvermögen angesetzt.

    Auch dagegen wurde Einspruch eingelegt. Beim Finanzamt regte ich im Dezember 2021 mit Verweis auf den Erörterungstermin an, dem Einspruch abzuhelfen und es nicht auf ein weiteres Finanzgerichtsverfahren ankommen zu lassen.

    Dem kam das Finanzamt jetzt (April 2023) nach: Es hielt an den verdeckten Gewinnausschüttungen nicht mehr fest, erließ neue Einkommensteuerbescheide und erstattete die bereits gezahlten Steuerbeträge an meinen Mandanten zurück – ein verspätetes Oster-„Geschenk“ in Höhe von ca. 150.000 € (einschließlich Zinsen).

  • Zweckwidrig verwendete Kautionen als verdeckte Gewinnausschüttungen? – Finanzamt setzt Vollziehung im Finanzgerichtsverfahren aus

    Es kommt nicht so häufig vor, dass man einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzgericht stellt und Akteneinsicht beantragt, das Finanzamt aber nicht die Akten ans Gericht übersendet, sondern sogleich die erstrebte Aussetzung der Vollziehung gewährt. So aber geschehen in einem aktuellen Fall.

    Zweckwidrig verwendete Kautionen als verdeckte Gewinnausschüttung?

    Nach einer Betriebsprüfung kam das Finanzamt zu der Auffassung, der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH habe Mietkautionen zweckwidrig verwendet. Dies stelle eine verdeckte Gewinnausschüttung dar.

    Ich erhob Einspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Nach meiner Auffassung gehören die Kautionen nicht zum Betriebsvermögen der GmbH, können also keine Gewinnauswirkung haben. Daher komme insoweit auch keine Ausschüttung eines Gewinns in Betracht, weder offen noch verdeckt.

    Interessanterweise gewährte das Finanzamt die AdV auf Ebene der GmbH, nicht dagegen beim Einkommensteuerbescheid des Gesellschafter-Geschäftsführers.

    Erledigung des Rechtsstreits, Finanzamt trägt Kosten

    Nach Ablehnung des AdV-Antrags durch das Finanzamt beantragte ich für den Gesellschafter-Geschäftsführer die AdV beim Sächsischen Finanzgericht. Das Finanzamt half aber sofort nach Antragstellung ab und gewährte selbst die AdV. Dadurch hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt und das Finanzamt muss die Kosten des Verfahrens tragen.

  • Finanzamt muss Kosten des Zwangsversteigerungsverfahrens tragen

    In dem Beitrag „Finanzamt vollstreckt zu früh aus Sicherungshypothek“ (Februar 2022) hatte ich von einem Fall berichtet, in dem das Finanzamt kurz vor Weihnachten einen Zwangsversteigerungsantrag gegen eine Mandantin stellte, diesen aber nach meiner Intervention zurücknahm. Daraufhin wurde das Zwangsversteigerungsverfahren aufgehoben.

    Amtsgericht: Mandantin soll trotzdem Verfahrenskosten tragen

    Das zuständige Amtsgericht befand gleichwohl, dass meine Mandantin die Kosten zu tragen habe. „Die Kosten des Verfahrens hat die Schuldnerin gemäß § 788 ZPO zu tragen. Grundsätzlich besteht die Pflicht zur Kostentragung durch den Schuldner für alle notwendigen Zwangsvollstreckungskosten, § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO. … Eine Notwendigkeit besteht nicht für Kosten unzulässiger, schikanöser, überflüssiger oder erkennbar aussichtsloser Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. … Diesbezüglich ist … den Ausführungen des Gläubigers zu folgen.“

    Das Amtsgericht bescheinigte dem Finanzamt, dass der Zwangsversteigerungsantrag rechtmäßig gewesen sei. Für „Schikane“ sah das Amtsgericht offenbar keinerlei Anhaltspunkte; hierzu enthält der Beschluss aber auch keine Begründung.

    Sofortige Beschwerde: Landgericht legt Finanzamt die Kosten auf

    Hiergegen legte ich für meine Mandantin sofortige Beschwerde ein. Das Landgericht Halle (Saale) hob mit Beschluss vom 10.10.2022, Az. 1 T 195/22, die amtsgerichtliche Entscheidung auf und entschied, dass der Gläubiger – also das Finanzamt – die Kosten des Zwangsversteigerungsverfahrens zu tragen habe.

    Das Landgericht stellte maßgeblich auf die schriftliche Zusicherung des Finanzamtes ab, bis zur Entscheidung des Finanzgerichts keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen. „Aufgrund dieses Schreibens durfte die Schuldnerin und Beschwerdeführerin zu Recht davon ausgehen, dass kein Zwangsversteigerungsverfahren beantragt wird, es sei denn, dass in der Zwischenzeit das Finanzgericht über ihre Klage zu ihren Lasten entscheiden bzw. das Finanzgericht rechtliche Hinweise erlassen würde, die auf die Erfolglosigkeit der Klage vor dem Finanzgericht hindeuteten. Hierzu hat der Gläubiger … nicht mehr vorgetragen. …

    Das Verhalten des Gläubigers ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar, es handelt sich dabei um einen offenbar schikanösen und überflüssigen Antrag, der kurz vor Weihnachten bei dem Vollstreckungsgericht gestellt und am 17.01.2022 ohne weitere Begründung wieder zurückgenommen wurde. … Die sofortige Beschwerde war aus vorstehenden Gründen erfolgreich.“

    Die Voraussetzungen des § 322 Abs. 4 AO sah das Landgericht dagegen – anders als ich – als eingehalten an. Aber das hatte keinen Einfluss auf die Entscheidung.

  • Sächsisches Finanzgericht: Mangelhafte Verfahrensdokumentation führt nicht ohne weiteres zur Schätzungsbefugnis

    Wenn die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können, dann darf und muss die Finanzbehörde schätzen (§ 162 Abs. 1 AO). Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können.

    Auf die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung kommt es an

    § 158 AO besagt, dass formell ordnungsmäßige Buchführungen und Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen der Besteuerung zugrunde zu legen sind, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Bei einer formell ordnungsmäßigen Buchführung wird also gesetzlich vermutet, dass sie auch sachlich richtig ist.

    Das Finanzamt – meist in Gestalt der Betriebsprüfung – wird regelmäßig nach Gründen suchen, warum die Buchführung nicht formell ordnungsgemäß sei, um die Vermutung des § 158 AO zu beseitigen und sodann schätzen zu können.

    Schätzungsanlass: Fehlerhafte Verfahrensdokumentation?

    Seit einigen Jahren greifen die Finanzämter verstärkt zu der Behauptung, die vorgelegte Verfahrensdokumentation sei mangelhaft. Damit sei die Buchführung formell ordnungswidrig, so dass eine Schätzung zulässig sei.

    So auch in meinem Fall. Ich vertrat eine GmbH, die im Bereich der Systemgastronomie tätig war. Das Finanzamt begründete im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 2014 bis 2016 unter Verweis auf das BMF-Schreiben vom 14.11.2014 eine Schätzungsbefugnis u. a. damit, dass die Verfahrensdokumentation in Gestalt der Datensatzbeschreibung mangelhaft sei. Damit sei die Nachprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Kassendaten erheblich beeinträchtigt. Daher könnten „die Kassendaten nicht nach § 158 AO der Besteuerung zugrunde gelegt werden.“ Dies habe „zur Folge, dass gemäß § 162 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 AO die daraus resultierenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden müssen.“

    „Zum Hier-Essen oder zum Mitnehmen?“ – Testkäufe

    Sodann gruppierte die Betriebsprüfung die „Außer-Haus-“ und „Im-Haus-Umsätze“ um, weil „einige Bediener überdurchschnittlich viele Buchungen ‚außer Haus‘, d. h. zum ermäßigten Steuersatz, vorgenommen haben.“ Das erscheine „unwahrscheinlich“ und könne nicht anerkannt werden. „Insoweit liegt aus Sicht der Betriebsprüfung ein materieller Mangel vor.“

    Flankierend nahm das Finanzamt im Jahr 2019 vier Testkäufe vor, um das Verhältnis der „Außer-Haus-“ und „Im-Haus-Umsätze“ zu überprüfen. „Bei zwei dieser Stichproben wurden auf den Kassenbons zu niedrige Steuersätze mit dem Aufdruck ‚zum Mitnehmen‘ ausgewiesen, obwohl die Speisen vor Ort verzehrt wurden.“ Folge: Die Umsätze zu 7 % (ermäßigter Steuersatz, „zum Mitnehmen“) wurden von der Beitriebsprüfung reduziert und die Umsätze zu 19 % stark erhöht, was zu Umsatzsteuernachforderungen führte.

    Hiergegen legte ich für meine Mandantin Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren ist noch anhängig. Allerdings lehnte das Finanzamt die beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ab, so dass ich für meine Mandantschaft einen AdV-Antrag beim Finanzgericht stellte.

    Finanzgericht relativiert Bedeutung der Verfahrensdokumentation

    Das Finanzgericht gab meinem AdV-Antrag insoweit statt (Beschluss vom 28.09.2022, Az. 1 V 864/21). Es verneinte schon den Schätzungsanlass. Es sei „zweifelhaft, ob ein Schätzungsanlass deswegen besteht, weil die Betriebsprüfung zur Beschaffung der Kassendaten mehrere Anläufe benötigte und … ‚unverhältnismäßig viel Zeit‘ aufwendete.“ Das hatte das Finanzamt ebenfalls bemängelt.

    Dem Finanzamt könne „auch nicht darin gefolgt werden, dass hier eine grob mangelhafte Datensatzbeschreibung die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit der Kassendaten erheblich beeinträchtige, was dem Fehlen einer Bedienungsanleitung gleichkomme. Eine fehlende oder ungenügende Verfahrensdokumentation stellt nicht ohne weiteres einen Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 142 ff. AO dar.“ Zudem biete „die Dokumentation, deren Fehlen das FA beanstandet, keine Gewähr dafür, dass bei den Umsätzen der richtige Steuersatz angewandt wurde.“

    „Unwahrscheinlichkeiten“ genügen nicht und Testkäufe hier ungeeignet

    Und weiter heißt es in dem Beschluss: „Eine formell ordnungsmäßige Buchführung kann nur verworfen werden, soweit die Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sachlich unrichtig ist … Das FA hält die Verteilung der Umsätze auf die verschiedenen Steuersätze, die sie bei einigen Angestellten festgestellt hat, für unwahrscheinlich. Das ist weniger als die Feststellung, dass die Zuordnung der Umsätze mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch ist.

    Auch die Testkäufe seien ungeeignet, um die sachliche Richtigkeit der Buchführung zu widerlegen. „Das FA will die sachliche Unrichtigkeit weiter daraus herleiten, dass bei zwei von vier im Febr. 2019 durchgeführten Testkäufen die USt falsch ausgewiesen worden sei … Die sachliche Richtigkeit einer Buchführung kann nicht allein durch stichprobenweise Überprüfung einzelner Geschäftsvorfälle widerlegt werden … Hier kommt hinzu, dass die Testkäufe geraume Zeit nach dem Prüfungszeitraum stattfanden.“

    Praxis-Tipp

    Die Entscheidung zeigt, dass man die Flinte nicht zu früh ins Korn werfen sollte, wenn das Finanzamt die Verfahrensdokumentation bemängelt und daraus eine Schätzungsbefugnis herleiten will.

    Das BMF-Schreiben vom 14.11.2014 – Schreiben betr. Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) vom 14.11.2014, BStBl. I 2014, 1450 – ist „Innenrecht“ der Verwaltung – Steuerpflichtige und die finanzgerichtliche Rechtsprechung sind hieran grundsätzlich nicht gebunden. Nach Rz. 183 des BMF-Schreibens ist dieses zudem erst auf Veranlagungszeiträume anzuwenden, die nach dem 31.12.2014 (also ab 01.01.2015) beginnen.

    Beachte ab 01.01.2020 das entsprechende BMF-Schreiben vom 28.11.2019 (BStBl. I 2019, 1269).
  • Online-Handel mit Autoteilen: Steuerstrafverfahren endet mit abgesprochenem Strafbefehl

    Meinem Mandanten, der einen Online-Handel mit Autoteilen betrieb, wurde vorgeworfen, für mehrere Jahre unrichtige Steuererklärungen abgegeben und dadurch Steuern in Höhe von insgesamt ca. 165.000,00 € verkürzt zu haben. Ein Vorwurf betraf einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung (Steuerverkürzung von mehr als 50.000,00 € Umsatzsteuer in einem Jahr).

    Das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren konnte jetzt durch einen mit der Staatsanwaltschaft im Vorfeld abgesprochenen Strafbefehl (rechtskräftig) beendet werden. Darin wurde eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ausgesprochen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

    Mein Mandant kam damit noch einigermaßen glimpflich davon. Vor Gericht hätte es weitaus schlimmer kommen können, insbesondere weil die Steuern noch nicht nachgezahlt wurden.

    Daher wurde auch eine Einziehung angeordnet. Die Staatsanwaltschaft wird also die Steuern beim Mandanten vollstrecken.

  • Steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt eingestellt

    Meinem Mandanten, ein Rechtsanwalt, wurde vorgeworfen, unrichtige Einkommensteuererklärungen abgegeben zu haben.

    Rechnungseingang im falschen Besteuerungszeitraum verbucht

    Einer der Vorwürfe war eine Eingangsrechnung, zu der seitens der Betriebsprüfung ein Zufluss festgestellt wurde. Dieser Zufluss war in der Buchführung des Mandanten für das betreffende Jahr aber nicht erfasst. Nach Akteneinsicht und Prüfung der eingereichten Steuererklärungen (auch) der Vorjahre wurde festgestellt, dass der Rechnungseingang – unter Verstoß gegen das Zuflussprinzip beim Einnahmen-Überschuss-Rechner – in der Steuererklärung des Vorjahres enthalten war, obwohl der Rechnungsbetrag erst im Folgejahr zufloss.

    Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren ein

    Ich argumentierte, dass insoweit kein Vorsatz vorliege – die Einnahme sei ja versteuert, wenn auch im falschen Jahr. Da damit ein Großteil des strafrechtlichen Vorwurfs wegfiel, regte ich an, das Ermittlungsverfahren nach § 153 StPO einzustellen. Die Staatsanwaltschaft kam dem auch nach.

    Praxis-Tipp

    Bei Ermittlungsverfahren gegen Berufsträger (Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer u. ä.) entscheidet die Staatsanwaltschaft über den Abschluss des Ermittlungsverfahrens, auch wenn die Sache vorher von der Bußgeld- und Strafsachenstelle ausermittelt wurde.

    Steuerrechtliches Nachspiel

    Die Sache hat noch ein steuerrechtliches Nachspiel. Für das Jahr, in dem der Zufluss zu Unrecht versteuert wurde (weil kein Zufluss stattfand), habe ich für meinen Mandanten einen Änderungsantrag gestellt und die Erstattung der zuviel bezahlten Einkommensteuer beantragt.

    Update (04.10.2022): Zwischenzeitlich hat das Finanzamt dem Änderungsantrag stattgegeben und die vom Mandanten zuviel entrichtete Einkommensteuer erstattet.

  • E-Zigaretten-Verkauf nicht versteuert: Strafverfahren endet mit abgesprochenem Strafbefehl

    Ein Mandant verdiente jahrelang ganz gut mit dem Verkauf von E-Zigaretten und Liquids. Nur beteiligte er das Finanzamt nicht an seinen Gewinnen. Das gegen ihn eingeleitete Steuerstrafverfahren endete jetzt mit einem abgesprochenen Strafbefehl.

    Strafanzeige vom Finanzamt

    2016 wurde gegen meinen Mandanten ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren für die Jahre ab 2011 eingeleitet. Die Strafanzeige kam von dem für meinen Mandanten zuständigen Finanzamt. Mein Mandant hatte u. a. zwei GmbHs mit einem Stammkapital von jeweils 25.000 € gegründet (Bargründung) und daneben noch eine Eigentumswohnung gekauft. Daneben gab es weitere Anhaltspunkte (Kontrollmitteilungen) für unversteuerte gewerbliche Einnahmen.

    Das schien dem Finanzbeamten überprüfungswürdig, denn der Mandant gab keine Steuererklärungen ab, sondern ließ Schätzungsbescheide über sich ergehen, die er auch bezahlte – schließlich waren die Schätzungen deutlich zu niedrig.

    Vorher Selbstanzeigeberatung

    Besondere Tragik an der Sache: Zuvor ließ sich der Mandant zur Abgabe einer Selbstanzeige bei mir beraten. Er wollte jedoch keine Selbstanzeige – zu kompliziert, zu teuer und „es wird schon gut gehen.“ Hinterher ist man schlauer.

    Ermittlungen der Steuerfahndung und Schadensbegrenzung

    Die weiteren Ermittlungen bestätigten den Tatverdacht. Nach einer Kontenabfrage bei der BaFin forderte die Steuerfahndung bei allen Banken meines Mandanten Kontoauszüge an und wertete diese aus. Erst in 2019 wurden meinem Mandanten die Einleitung des Steuerstrafverfahrens und die von der Steuerfahndung aufaddierten Einnahmen und Umsätze bekannt gegeben.

    Die Beweislage war „erdrückend“, so dass die Strategie war, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und zu kooperieren, um den Schaden für meinen Mandanten möglichst zu begrenzen. Der Steuerberater meines Mandanten wertete das Zahlenwerk aus und gab in enger Abstimmung mit mir Steuererklärungen für den Mandanten ab, die die Steuerfahndung auch akzeptierte.

    Abgabe an Staatsanwaltschaft und Strafbefehl

    Am Ende standen ca. 430.000 € hinterzogene Steuern (Einkommensteuer, Umsatz- und Gewerbesteuer für mehrere Jahre) im Raum. Mein Mandant zahlte alle Steuern und Zinsen nach.

    Aufgrund der Höhe der Steuerverkürzung wurde die Sache an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Im Normalfall wäre die Sache vor dem Amtsgericht angeklagt worden. Aufgrund der besonderen Umstände (u. a. zeitnahe und vollständige Steuernachzahlung, Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts) war die Staatsanwaltschaft jedoch mit einem Strafbefehl einverstanden, dessen Inhalt (ein Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung) vorher abgesprochen wurde.

    Mein Mandant akzeptierte den Strafbefehl. Damit kassierte er zwar eine echte Strafe (der rechtskräftige Strafbefehl hat die gleiche Wirkung wie ein Strafurteil), aber ohne Hauptverhandlung vor Gericht. Vor Gericht hätte es bei der Höhe der verkürzten Steuern für den Mandanten auch weitaus schlimmer (und vor allem teurer) kommen können.

    Praxis-Tipp

    Eine möglichst frühzeitige und vollständige Steuernachzahlung ist ein erheblicher Strafmilderungsgrund. Man sollte nicht warten, bis das Finanzamt (Änderungs-)Bescheide erlässt. Besser ist es, schon vorab Zahlungen auf die zu erwartenden Steuernachforderungen leisten. Das verhindert auch eine Einziehung bzw. einen Vermögensarrest.

  • Finanzamt vollstreckt zu früh aus Sicherungshypothek

    Wenn das Finanzamt in Grundstücke des Steuerpflichtigen vollstreckt, lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn dabei unterlaufen dem Finanzamt manchmal Fehler, die die Vollstreckung rechtswidrig und anfechtbar machen, wie der nachfolgende Praxisfall zeigt.

    Hintergrund: Vollstreckung durch das Finanzamt

    Während sich im Zivilrecht der Gläubiger, wenn er gegen den Schuldner vollstrecken will, zunächst vor Gericht einen vollstreckbaren Titel holen muss, läuft das im Steuerrecht komplett anders. Wenn das Finanzamt meint, dass Steuer(nach)forderungen bestehen, erlässt es einen Steuerbescheid (z. B. Einkommensteuerbescheid). Das ist schon der vollstreckbare Titel. Wird bei Fälligkeit nicht bezahlt und ist auch kein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt (oder wurde ein solcher Antrag abgelehnt), dann droht die Vollstreckung. Und das Finanzamt vollstreckt seine eigenen Steuerbescheide auch noch selbst.

    Typische Vollstreckungsmaßnahmen sind die Pfändung eines Bankkontos oder auch – wenn Grundstücke vorhanden sind – die Eintragung einer Sicherungshypothek im Grundbuch. Auf Basis dieser Sicherungshypothek kann später dann die Zwangsversteigerung betrieben werden.

    Praxisfall: Betriebsprüfung mit Zuschätzungen

    Im Fall meiner Mandantin bestehen aus Sicht des Finanzamtes Steuernachforderungen (ca. 50.000 €). Hintergrund war eine Betriebsprüfung, die u. a. zu Zuschätzungen führte. Das Einspruchsverfahren gegen die Schätzungsbescheide war erfolglos und die Mandantin reichte (selbst) Klage beim Finanzgericht ein, das ich später übernahm. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) wurde vom Finanzamt abgelehnt.

    Parallel ließ das Finanzamt eine Sicherungshypothek auf das Grundstück meiner Mandantin eintragen, sicherte jedoch schriftlich zu, bis zur Entscheidung des Finanzgerichts daraus nicht zu vollstrecken.

    Finanzamt beantragt Zwangsversteigerung

    Kurz vor Weihnachten 2021 beantragte das Finanzamt aber doch die Zwangsversteigerung. In Sachsen-Anhalt – hier spielt sich der Fall ab – gibt es keinen Weihnachtsfrieden.

    Dagegen legte ich für meine Mandantin Einspruch ein (der Antrag des Finanzamtes auf Anordnung der Zwangsversteigerung ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt – es kann Einspruch eingelegt werden). Zugleich beantragte ich beim Amtsgericht die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung.

    § 322 Abs. 4 AO nicht beachtet

    Zur Begründung trug ich vor, dass das Finanzamt zugesichert habe, aus der Sicherungshypothek bis auf weiteres nicht zu vollstrecken. Zudem wies ich auf § 322 Abs. 4 AO hin. Danach soll die Vollstreckungsbehörde (Finanzamt/Vollstreckungsstelle) die Zwangsversteigerung nur beantragen, wenn festgestellt ist, dass der Geldbetrag durch Vollstreckung in das bewegliche Vermögen nicht beigetrieben werden kann. „Soll“ heißt, dass das Finanzamt hier diese Vorschrift im Regelfall beachten muss, es sei denn, es bestehen irgendwelche Besonderheiten. Daran fehlte es in meinem Fall.

    Rücknahme des Zwangsversteigerungsantrags und Fortgang

    Daraufhin nahm das Finanzamt den Zwangsversteigerungsantrag beim Amtsgericht zurück. Das Finanzamt wird jetzt die Kosten dieses Verfahrens tragen müssen.

    Aber das Finanzamt ist „lernfähig.“ Es unternimmt gerade einen zweiten Anlauf, fordert meine Mandantin nochmals zur Zahlung auf und droht bei Nichtzahlung mit Fortführung des Vollstreckungsverfahrens. Voraussichtlich wird das Finanzamt versuchen, in das bewegliche Vermögen zu vollstrecken, um der Vorschrift des § 322 Abs. 4 AO zu genügen.

    Zwischenzeitlich habe ich jedoch die AdV beim Finanzgericht beantragt. Dadurch erreicht man im Normalfall eine faktische Vollstreckungssperre, weil das Finanzamt bis zur Entscheidung des Finanzgerichts über den AdV-Antrag nicht vollstrecken wird. Die Schätzung und weitere Punkte sind auch tatsächlich rechtlich zweifelhaft, so dass ich mit einem stattgebenden AdV-Beschluss des Finanzgerichts rechne.

  • Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019: Steuerstrafverfahren teilweise mangels Tatverdacht eingestellt

    Meinem Mandanten wurde von der Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) unter anderem vorgeworfen, durch Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019 eine Steuerhinterziehung begangen zu haben. Jetzt wurde das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren in diesem Punkt mangels Tatverdacht eingestellt.

    Pflichtwidrigkeit bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen

    Steuerhinterziehung durch Unterlassen einer Steuererklärung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) setzt voraus, dass der Beschuldigte pflichtwidrig gehandelt hat. Das ist der Fall, wenn gegen Steuererklärungspflichten verstoßen wurde. Für die Abgabe von Steuererklärungen bestehen jedoch Fristen. Erst wenn die Steuererklärungsfrist vollständig abgelaufen ist, kann überhaupt eine Pflichtwidrigkeit vorliegen.

    Steuererklärungsfristen 2019 – „Corona“-Besonderheiten

    Das führt zu der Frage, welche Steuererklärungsfrist für 2019 bei meinem Mandanten galt. Dabei ist zu unterscheiden, ob der Mandant seine Steuererklärungen selbst erstellt oder ob es sich hierbei eines steuerlichen Beraters bedient. Im Grundsatz war die Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019 bis zum 31.07.2020 abzugeben („Jedermann-Frist“). Mein Mandant war jedoch steuerlich beraten, so dass er dafür bis zum 28.02.2021 Zeit hatte („Beraterprivileg“).

    Allerdings ist die „Corona“-bedingte Sonderregelung des Art. 97 § 36 Abs. 1 EGAO zu beachten. Für die Jahressteuererklärungen 2019 lief bei beratenen Steuerpflichtigen die Abgabefrist erst am 31.08.2021 ab. Das bedeutet, mein Mandant hatte bis zum 31.08.2021 Zeit, seine USt-Jahreserklärung für 2019 einzureichen.

    Teilweise verfrühte Einleitung des Ermittlungsverfahrens

    Am 17.05.2021 reichte mein Mandant seine Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019 durch seinen Steuerberater beim Finanzamt ein. Daraufhin wurde am 31.05.2021 gegen den Mandanten ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Vorwurf lautete, die Umsatzsteuer-Jahreserklärungen 2017, 2018 und 2019 nicht bzw. nicht rechtzeitig eingereicht zu haben.

    Die BuStra ging davon aus, dass mein Mandant bei Ablauf der Steuererklärungsfrist 2019 (nach Auffassung der BuStra: am 31.05.2020) steuerlich noch nicht vertreten war. Somit gelte für ihn das „Beraterprivileg“ nicht. Dabei übersah die Bußgeld- und Strafsachenstelle sogar die ab Veranlagungszeitraum 2018 geltende Verlängerung der „Jedermann-Frist“ auf den 31.07. des Folgejahres.

    Verteidigungsaktivitäten

    Im Ermittlungsverfahren konnte ich nachweisen, dass mein Mandant bereits vor dem 31.05.2020 steuerlich vertreten war. Dazu genügt die Beauftragung des Steuerberaters. Eine Anzeige der Beauftragung beim Finanzamt ist nach dem Gesetz nicht erforderlich. Somit galt für meinen Mandanten das „Beraterprivileg“ und zugleich die „Corona“-bedingt verlängerte Abgabefrist (31.08.2021). Da die Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019 am 17.05.2021 eingereicht wurde – also vor Fristablauf (31.08.2021) –, könne meinem Mandanten insoweit keine Pflichtwidrigkeit vorgeworfen werden.

    Nach einigem Hin und Her hielt die BuStra an ihrem Vorwurf nicht mehr fest und stellte das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren betreffend die Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019 mangels Tatverdacht ein.

    Praxis-Tipp

    Aufgrund der verschiedenen Steuererklärungsfristen – vor VZ 2018, ab VZ 2018, „Corona-Sonderregelungen“ in den VZ 2019 und 2020 – wird die Bestimmung der einschlägigen Abgabefrist zukünftig fehleranfälliger werden. Hier sollte die Verteidigung also genauer hinschauen.

  • Verjährungsbeginn bei Steuerhinterziehung: Erstbescheid oder Änderungsbescheid maßgeblich?

    Ausgangspunkt

    Kürzlich kam es in einem Steuerstrafverfahren vor dem Amtsgericht Leipzig u. a. zu einer Kontroverse über den Beginn der Verfolgungsverjährungsfrist.

    Meinem Mandanten, ein Steuerberater, warf man in mehreren Anklagepunkten Steuerhinterziehung zugunsten seiner Mandanten, aber auch in eigener Sache vor, jeweils durch Abgabe unrichtiger Einkommensteuererklärungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens waren drei vorgeworfene Taten verjährt. Jetzt ging es um die Frage, ob seitdem ein weiterer Anklagepunkt verjährt ist. Je nachdem, wann man den Beginn der Verjährungsfrist ansetzt, war die angeklagte Tat bereits verjährt oder eben nicht.

    Sachverhalt (vereinfacht)

     

    Am 25.05.2011 wurde die Einkommensteuererklärung 2010 beim Finanzamt eingereicht. Darin wurden – so der Vorwurf – zu Unrecht Verluste aus Vermietung und Verpachtung erklärt. Daraufhin wurde am 04.10.2011 der Einkommensteuerbescheid 2010 bekannt gegeben, in dem das Finanzamt die erklärten Verluste aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte. Am 06.06.2013 erging ein Änderungsbescheid, der sich allerdings auf andere Einkünfte (Beteiligungseinkünfte) bezog.

    Am 11.10.2021 fand der (letzte) Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht statt. Zu Beginn gab ich zu Protokoll, dass die vorgeworfene Tat bereits verjährt sei. Gleichwohl wurde der Mandant am Ende des Tages auch in diesem Anklagepunkt verurteilt. Staatsanwaltschaft und Gericht gingen davon aus, dass die Tat nicht verjährt sei.

    Verjährungsfrist und „absolute“ Verjährung

    Bei Steuerhinterziehung gilt entweder eine 5jährige (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) oder – falls ein gesetzlich genannter Fall einer besonders schweren Steuerhinterziehung vorliegt (z. B. Steuerverkürzung in großem Ausmaß) – die 15jährige Verjährungsfrist (376 Abs. 1 AO). Im vorliegenden Fall gilt die 5jährige Verjährungsfrist. Die Verfolgungsverjährung kann unterbrochen werden, z. B. durch Bekanntgabe der Einleitung eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Dann beginnt die Verjährungsfrist neu. Zu beachten ist dabei aber die so genannte absolute Verjährungsfrist. Diese beträgt – in Fällen wie hier – maximal das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist (§ 78c Abs. 3 S. 2 StGB), also 10 Jahre.

    Die Verfolgungsverjährungsfrist beginnt, wenn die Tat beendet ist. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Tat bei Veranlagungssteuern (hier: Einkommensteuer) und aktivem Tun (hier: Abgabe unrichtiger Steuererklärungen) mit Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheides beendet. Maßgeblich für die Tatbeendigung ist die Bekanntgabe des (ersten) auf die unrichtige Erklärung ergehenden Steuerbescheides. Etwaige spätere Änderungsbescheide spielen für die Frage der Tatbeendigung keine Rolle (BGH, 25.04.2001, 5 StR 613/00; Jäger in Klein, AO, § 376 Rn. 21).

    Lösung

     

    Staatsanwaltschaft und Gericht gingen – ohne nähere Begründung – davon aus, dass es für den Beginn der Verjährungsfrist auf den Änderungsbescheid (06.06.2013) ankomme. Rechne man 10 Jahre (absolute Verjährungsfrist) hinzu, würde die Tat erst im Juni 2023 verjähren.

    Das ist jedoch falsch. Richtigerweise kommt es nach der BGH-Rechtsprechung auf den Erstbescheid (Bekanntgabe am 04.10.2011) an. Absolute Verjährung trat folglich mit Ablauf des 03.10.2021, also vor der erstinstanzlichen Verurteilung (11.10.2021) ein.

    Insoweit wurde mein Mandant trotz Verjährung und damit zu Unrecht verurteilt. Ich bin gespannt, was das Landgericht in der Berufung davon hält.