Finanzamt vollstreckt zu früh aus Sicherungshypothek

Wenn das Finanzamt in Grundstücke des Steuerpflichtigen vollstreckt, lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn dabei unterlaufen dem Finanzamt manchmal Fehler, die die Vollstreckung rechtswidrig und anfechtbar machen, wie der nachfolgende Praxisfall zeigt.

Hintergrund: Vollstreckung durch das Finanzamt

Während sich im Zivilrecht der Gläubiger, wenn er gegen den Schuldner vollstrecken will, zunächst vor Gericht einen vollstreckbaren Titel holen muss, läuft das im Steuerrecht komplett anders. Wenn das Finanzamt meint, dass Steuer(nach)forderungen bestehen, erlässt es einen Steuerbescheid (z. B. Einkommensteuerbescheid). Das ist schon der vollstreckbare Titel. Wird bei Fälligkeit nicht bezahlt und ist auch kein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt (oder wurde ein solcher Antrag abgelehnt), dann droht die Vollstreckung. Und das Finanzamt vollstreckt seine eigenen Steuerbescheide auch noch selbst.

Typische Vollstreckungsmaßnahmen sind die Pfändung eines Bankkontos oder auch – wenn Grundstücke vorhanden sind – die Eintragung einer Sicherungshypothek im Grundbuch. Auf Basis dieser Sicherungshypothek kann später dann die Zwangsversteigerung betrieben werden.

Praxisfall: Betriebsprüfung mit Zuschätzungen

Im Fall meiner Mandantin bestehen aus Sicht des Finanzamtes Steuernachforderungen (ca. 50.000 €). Hintergrund war eine Betriebsprüfung, die u. a. zu Zuschätzungen führte. Das Einspruchsverfahren gegen die Schätzungsbescheide war erfolglos und die Mandantin reichte (selbst) Klage beim Finanzgericht ein, das ich später übernahm. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) wurde vom Finanzamt abgelehnt.

Parallel ließ das Finanzamt eine Sicherungshypothek auf das Grundstück meiner Mandantin eintragen, sicherte jedoch schriftlich zu, bis zur Entscheidung des Finanzgerichts daraus nicht zu vollstrecken.

Finanzamt beantragt Zwangsversteigerung

Kurz vor Weihnachten 2021 beantragte das Finanzamt aber doch die Zwangsversteigerung. In Sachsen-Anhalt – hier spielt sich der Fall ab – gibt es keinen Weihnachtsfrieden.

Dagegen legte ich für meine Mandantin Einspruch ein (der Antrag des Finanzamtes auf Anordnung der Zwangsversteigerung ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt – es kann Einspruch eingelegt werden). Zugleich beantragte ich beim Amtsgericht die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung.

§ 322 Abs. 4 AO nicht beachtet

Zur Begründung trug ich vor, dass das Finanzamt zugesichert habe, aus der Sicherungshypothek bis auf weiteres nicht zu vollstrecken. Zudem wies ich auf § 322 Abs. 4 AO hin. Danach soll die Vollstreckungsbehörde (Finanzamt/Vollstreckungsstelle) die Zwangsversteigerung nur beantragen, wenn festgestellt ist, dass der Geldbetrag durch Vollstreckung in das bewegliche Vermögen nicht beigetrieben werden kann. „Soll“ heißt, dass das Finanzamt hier diese Vorschrift im Regelfall beachten muss, es sei denn, es bestehen irgendwelche Besonderheiten. Daran fehlte es in meinem Fall.

Rücknahme des Zwangsversteigerungsantrags und Fortgang

Daraufhin nahm das Finanzamt den Zwangsversteigerungsantrag beim Amtsgericht zurück. Das Finanzamt wird jetzt die Kosten dieses Verfahrens tragen müssen.

Aber das Finanzamt ist „lernfähig.“ Es unternimmt gerade einen zweiten Anlauf, fordert meine Mandantin nochmals zur Zahlung auf und droht bei Nichtzahlung mit Fortführung des Vollstreckungsverfahrens. Voraussichtlich wird das Finanzamt versuchen, in das bewegliche Vermögen zu vollstrecken, um der Vorschrift des § 322 Abs. 4 AO zu genügen.

Zwischenzeitlich habe ich jedoch die AdV beim Finanzgericht beantragt. Dadurch erreicht man im Normalfall eine faktische Vollstreckungssperre, weil das Finanzamt bis zur Entscheidung des Finanzgerichts über den AdV-Antrag nicht vollstrecken wird. Die Schätzung und weitere Punkte sind auch tatsächlich rechtlich zweifelhaft, so dass ich mit einem stattgebenden AdV-Beschluss des Finanzgerichts rechne.