Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Tag: Finanzamt

  • Einspruchsverfahren mit tatsächlicher Verständigung beendet

    Im November 2024 berichtete ich über die Beendigung eines Steuerstrafverfahrens. Meinem Mandanten wurde dort vorgeworfen, er habe unter dem Namen seines Vaters ein Unternehmen betrieben und keine bzw. verspätete Steuererklärungen abgegeben. Jetzt ging auch das parallel laufende Besteuerungsverfahren zu Ende.

    Paralleles Besteuerungsverfahren

    Parallel lief auch ein komplexes Besteuerungsverfahren gegen meinen Mandanten. Nach einer Betriebsprüfung erließ das Finanzamt Anfang 2022 zunächst Erst- und Änderungsbescheide (u. a. Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 2012 bis 2016) mit einer Nachforderung von ca. 435.000,00 € (zuzüglich Nebenforderungen).

    Gegen die Änderungsbescheide legte ich für meinen Mandanten Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung, nach Ablehnung beim Finanzamt sodann beim Finanzgericht. Nach einem Erörterungstermin am Finanzgericht setzte das Finanzamt die Vollziehung für die Jahre 2012-2014 komplett und für die Jahre 2015 und 2016 teilweise aus. Vorausgegangen war der teilweise Freispruch vor dem Amtsgericht Anfang 2023.

    Tatsächliche Verständigung im Einspruchsverfahren

    Im Einspruchsverfahren gelang es, das Finanzamt davon zu überzeugen, dass Unternehmensinhaber bzw. Unternehmer in den Jahren 2012 bis 2014 nicht mein Mandant, sondern dessen Vater war. Hierzu und zu weiteren Punkten schloss ich für meinen Mandanten eine tatsächliche Verständigung mit dem Finanzamt ab. In deren Folge hob das Finanzamt die Bescheide für 2012 bis 2014 ersatzlos auf. Die Bescheide für 2015 und 2016 wurden noch teils erheblich reduziert.

    Damit blieben beim Mandanten „nur“ noch ca. 95.000,00 € Steuernachforderungen (zuzüglich Nebenforderungen) „hängen“ – ca. 340.000 € (zuzüglich Nebenforderungen) „gespart.“ Die verbleibenden Steuernachforderungen wurden bereits überwiegend beglichen.

    Praxis-Tipp und Fazit

    Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren sind zwei völlig unabhängige Verfahren, die auch meist parallel ablaufen. Trotzdem gibt es zwischen beiden Verfahren Wechselwirkungen, wie dieser Fall zeigt: Ohne Teilfreispruch im Steuerstrafverfahren vor dem Amtsgericht wäre das Einspruchsverfahren voraussichtlich nicht auf diese Weise beendet worden, sondern man hätte noch zum Finanzgericht gehen müssen.

    Steuerstreit lohnt sich oft, auch wenn es am Anfang aussichtslos aussehen sollte.

  • „Stolperfallen“ bei der Durchsetzung von DSGVO-Auskunftsansprüchen gegenüber dem Finanzamt

    Art. 15 Abs. 1 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gibt jedem das Recht zu erfahren, welche personenbezogenen Daten über ihn gespeichert und verarbeitet werden. Auch gegenüber dem Finanzamt können Sie eine solche Auskunft verlangen. Das Finanzamt muss zudem eine Kopie der personenbezogenen Daten zur Verfügung stellen.

    Doch gerade hier gibt es einige Stolperfallen und Besonderheiten, die Sie kennen sollten. In diesem Beitrag erfahren Sie, worauf Sie bei einer Anfrage nach Art. 15 DSGVO beim Finanzamt achten müssen und wie Sie typische Fehler vermeiden.

    Antragstellung

    Der Steuerpflichtige muss zunächst einen Antrag auf Auskunft beim Finanzamt stellen. Meist wird man sich an „sein“ Finanzamt wenden, so dass schon klar ist, dass dort personenbezogene Daten verarbeitet werden. Die Bestätigung („ob“) ist daher im Normalfall überflüssig.

    Der Antrag sollte möglichst präzise formuliert sein (§ 32c Abs. 2 AO), am besten auch unter Verweis auf Art. 15 DSGVO. Die Person, die Auskunft begehrt, muss klar identifizierbar sein.

    Der Antrag darf nicht offenkundig unbegründet sein und auch nicht „exzessiv“ gestellt werden, z. B. nur um das Finanzamt zu beschäftigen. In diesem Fall darf das Finanzamt ein angemessenes Entgelt für die Auskunft verlangen oder die Auskunft verweigern (s. dazu BFH, 12.03.2024, IX R 35/21).

    Keine Akteneinsicht

    Aus Art. 15 DSGVO ergibt sich kein Recht auf Akteneinsicht.

    Keine Kopie der Steuerakte

    Fraglich ist, was unter einer „Kopie“ (Art. 15 Abs. 3 DSGVO) zu verstehen ist. Man könnte meinen, dass ein Anspruch auf Überlassung einer (Papier-)Kopie der Steuerakte besteht. Anders aber die Rechtsprechung: Art. 15 Abs. 3 DSGVO gehe nicht über den Anspruch aus Abs. 1 hinaus. Der Begriff „Kopie“ beziehe sich nicht auf ein (Papier-)Dokument als solches, sondern nur auf die personenbezogenen Daten, die es enthält und die vollständig sein müssen. Die Kopie muss daher (nur) alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind (BFH, 07.05.2024, IX R 21/22, Rn. 38). Sie erhalten daher im Normalfall eine Übersicht (Ausdruck) der gespeicherten Daten, aber keine Kopien aller Schriftstücke.

    Ausnahme: Nur wenn die Zurverfügungstellung einer (Akten-)Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung ihrer Rechte aus der DSGVO zu ermöglichen, besteht Anspruch darauf, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken zu erhalten (BFH, 07.05.2024, IX R 21/22, Rn. 39).

    „Unverhältnismäßiger Aufwand“ zählt nicht

    Das Finanzamt darf den Antrag auf Auskunft nicht mit dem Einwand ablehnen, die Auskunftserteilung sei mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden (BFH, 14.01.2025, IX R 25/22).

    Reaktionszeit des Finanzamtes

    Das Finanzamt muss die Auskunft unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags erteilen. Die Frist kann in komplexen Fällen um zwei weitere Monate verlängert werden (Art. 12 Abs. 3 DSGVO).

    Kein Einspruchsverfahren

    Wenn der Antrag auf Auskunft vom Finanzamt ganz oder teilweise abgelehnt wird, ist man vielleicht geneigt, Einspruch dagegen einzulegen. Anders als im normalen Besteuerungsverfahren ist bei DSGVO-Auskünften aber kein Einspruchsverfahren vorgesehen (§ 32i Abs. 9 S. 1 AO).

    Wird die Auskunft vom Finanzamt verweigert, darf also kein Einspruch eingelegt werden. Ein trotzdem beim Finanzamt eingelegter Einspruch wäre unzulässig. Stattdessen muss gegen die Ablehnung des Finanzamtes direkt Klage beim Finanzgericht eingereicht werden.

    Klagefrist beachten

    Bei der Klage zum Finanzgericht ist eine Frist (Klagefrist) zu beachten. Diese beträgt einen Monat ab Bekanntgabe der Ablehnung durch das Finanzamt (§ 47 Abs. 1. S. 2 FGO), da es sich hier um eine so genannte Verpflichtungsklage handelt (BFH, 06.05.2025, IX R 2/23).

    Die Ablehnung des Finanzamtes ist ein Bescheid (Verwaltungsakt). Dieser gilt grundsätzlich am vierten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Wurde die Ablehnung zugestellt (z. B. mit Zustellungsurkunde), ist das Datum der Zustellung maßgeblich.

    Die Ablehnung ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Wenn die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder falsch ist, kann noch innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe der Ablehnung Klage erhoben werden (§ 55 FGO).

    Gegenstands- bzw. Streitwert

    Für eine Klage, in der ein Auskunftsrecht gemäß Art. 15 DSGVO geltend gemacht wird, ist grds. der Auffangstreitwert i. H. v. 5.000,00 € (§ 52 Abs. 2 GKG) zugrunde zu legen (BFH, 15.05.2024, IX S 14/24).

    Praxis-Tipp

    Kostenrisiko: Ausgehend vom Auffangstreitwert entstehen (mindestens) Anwaltskosten i. H. v. ca. 1.200,00 € und Gerichtskosten i. H. v. 682,00 €. Das muss man mit einplanen bei der Entscheidung, ob sich die Auskunft „lohnt.“

  • Kein Akteneinsichtsrecht aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

    „Ich möchte mal meine Akte beim Finanzamt einsehen“ – ein berechtigter Wunsch vieler Mandanten, der in der Praxis aber meist nicht umsetzbar ist.

    Kein Recht auf Akteneinsicht aus der Abgabenordnung

    Leider ergibt sich aus der Abgabenordnung (AO) kein Recht auf Akteneinsicht in die Akten des Finanzamtes. Weder aus § 91 Abs. 1 AO (Anhörung Beteiligter) noch aus § 364 AO (Offenlegung der Besteuerungsunterlagen) oder dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO).

    Es besteht nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch. Dem Finanzamt ist es nämlich nicht verboten, Akteneinsicht zu gewähren. Bei einer Ablehnung der Akteneinsicht muss es jedoch seine Ermessenserwägungen begründen.

    Keine Akteneinsicht über Datenschutz-Grundverordnung

    Es war lange streitig, ob ein Recht auf Akteneinsicht aus Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) abzuleiten ist. Mit Urteil vom 20.09.2024, Aktenzeichen: IX R 24/23, entschied der Bundesfinanzhof (BFH) jedoch, dass sich auch aus Art. 15 DSGVO kein Anspruch auf Akteneinsicht ergibt.

    Die DSGVO gewähre (nur) ein Auskunftsrecht über personenbezogene Daten, jedoch kein umfassendes Akteneinsichtsrecht. Dieses Auskunftsrecht beziehe sich auf die Bereitstellung von Kopien personenbezogener Daten, nicht auf die Einsichtnahme in Originalakten.

  • Betriebsprüfung: Mehrzahl oder Einzahl, das ist hier die Frage

    Aktuell vertrete ich einen Autohändler in einer Betriebsprüfung und verteidige ihn parallel im Steuerstrafverfahren. Im Exposé der Betriebprüfung (Entwurf des Betriebsprüfungsberichts) heißt es u. a. , dass dem Finanzamt Anzeigen (Mehrzahl!) von Kunden meines Mandanten vorliegen würden. Darin werde detailliert geschildert, dass mein Mandant durch „geschönte Kaufverträge“ die tatsächlichen Verkaufpreise „für die Steuer“ künstlich mindern wollte.

    Im Rahmen der Akteneinsicht im Steuerstrafverfahren fand ich die (angeblichen) Kundenanzeigen jedoch nicht in der Ermittlungsakte. Auf meine Anforderung bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) erhielt ich eine einzige (!) anonymisierte Anzeige, die zudem gespickt ist mit Vermutungen. Weitere Anzeigen lägen der Betriebsprüfung nicht vor, so die BuStra.

    Praxis-Tipp

    Man sollte als Berater nicht alles hinterfragen, aber jedenfalls die „Feststellungen“ in einem Betriebsprüfungsbericht oder Exposé.
  • Akteneinsicht: Finanzgericht verweigert Einblick in „Sonderakte“

    Im Finanzgerichtsverfahren ergibt sich für den Steuerpflichtigen bzw. seinen Berater aus § 78 S. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein Recht auf Akteneinsicht in die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten. Bei den „vorgelegten Akten“ handelt es sich um die für den Streitfall relevanten Akten des Finanzamtes, z. B. Haftungsakten, Rechtsbehelfsakten und Akten der Betriebsprüfung.

    „Sonderakte“ vorenthalten und ans Finanzamt zurückgesandt

    In einem Finanzgerichtsverfahren hatte ich neulich einen Termin zur Akteneinsicht. Zuvor hatte das Finanzamt im Rahmen der Aktenübersendung mitgeteilt, dass

    „… die Akten keine durch das Steuergeheimnis geschützten Daten bzw. Vorgänge über Verhältnisse Dritter“

    enthalten.

    Einen Tag nach meiner Akteneinsicht erhielt ich ein Schreiben der Berichterstatterin an das Finanzamt zur Kenntnis. Darin heißt es:

    „… in Vorbereitung der Akteneinsichtnahme durch Herrn Rechtsanwalt Deutschendorf ist aufgefallen, dass sich unter den übersandten Akten auch eine Sonderakte mit der Kennzeichnung ‚Nur für das Finanzamt bestimmte Unterlagen‘ befand. Diese Akte schicken wir unbesehen an Sie zurück; sie wurde auch Herrn Rechtsanwalt Deutschendorf nicht zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt.“

    Umfang des Akteneinsichtsrechts und Ausnahmen

    Das Akteneinsichtsrecht umfasst grundsätzlich alle dem Finanzgericht tatsächlich vorgelegten Akten. Ein Akteneinsichtsgesuch darf das Finanzgericht nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (z. B. BFH, 21.04.2023, III B 41/22, Rn. 14 mit weiteren Nachweisen) nur verweigern, wenn besondere (Ausnahme-)Gründe vorliegen, insbesondere:

    • Fälle des § 78 Abs. 4 FGO
    • Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses oder Datenschutzes
    • rechtsmissbräuchliche Ausübung des Akteneinsichtsrechts bzw. Prozessverschleppung

    Verweigerung der Akteneinsicht rechtswidrig

    Solche Ausnahmegründe sind hier nicht ersichtlich. Allein der Verweis auf die Kennzeichnung „Nur für das Finanzamt bestimmte Unterlagen“ genügt nicht. Das Gericht hätte vielmehr anhand des Inhalts der „Sonderakte“ prüfen müssen, ob bzw. dass der Vermerk berechtigte Interessen schützt und ein besonderer Ausschlussgrund vorliegt. Das ist hier offensichtlich nicht geschehen („unbesehen“).

    Zudem ist es hier wahrscheinlich, dass das Finanzamt diese „Sonderakte“ nicht versehentlich an das Gericht übersandt, sondern entgegen dem Vermerk durch Übersendung ans Gericht auch die Freigabe zur Akteneinsicht erteilt hat. Dafür spricht, dass das Finanzamt mitteilte, dass die übersandten Akten „keine durch das Steuergeheimnis geschützten Daten bzw. Vorgänge über Verhältnisse Dritter“ enthalten.

    Diese Umstände hätten vor Rücksendung der „Sonderakte“ vom Gericht aufgeklärt werden müssen und es hätte mir vorher Gelegenheit zur Stellungnahme und damit rechtliches Gehör gewährt werden müssen. Ich habe daher diese Vorgehensweise beanstandet und beantragt, dass das Finanzamt die betreffende „Sonderakte“ nochmals an das Gericht übersendet und mir gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 FGO Akteneinsicht in diese „Sonderakte“ gewährt wird.

  • Fünfeinhalb Jahre Betriebsprüfung – ohne Feststellungen

    Was lange währt wird endlich gut: Im Januar 2025 ging eine Betriebsprüfung zu Ende, die ich neben dem Steuerberater meiner Mandantin – eine GmbH & Co. KG – begleitete. Die zugrundeliegende Prüfungsanordnung war aus September 2019.

    Die Prüfung endete ohne Feststellungen oder Beanstandungen – auch so etwas gibt es.

  • Hinterziehungszinsen: Finanzamt berechnet Zinslauf falsch

    Wenn Steuern hinterzogen wurden, sind diese zu verzinsen (§ 235 Abs. 1 S. 1 AO). Immer wieder habe ich Bescheide über Hinterziehungszinsen auf dem Tisch, in denen der Zinslauf vom Finanzamt falsch berechnet wurde.

    Anhand des folgenden Beispiels möchte ich die Problematik veranschaulichen:

    Beispiel

    Unternehmer U, der keinen Steuerberater hat, gab pflichtwidrig seine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2017 nicht ab. Nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens und Erlass eines Nachforderungsbescheides zahlt U die hinterzogene Umsatzsteuer 2017 am 15.12.2024 nach.

    Beginn des Zinslaufs: Eintritt der Steuerverkürzung

    Der Zinslauf beginnt gemäß § 235 Abs. 2 S. 1, 1. HS AO grundsätzlich „mit dem Eintritt der Verkürzung“ (Steuerverkürzung). Bei Anmeldungssteuern (wie hier die Umsatzsteuer) ist die Steuer im Fall des pflichtwidrigen Unterlassens (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) mit Ablauf der Anmeldungsfrist verkürzt.

    Anmeldungsfrist für die Umsatzsteuer 2017 war bei steuerlich nicht vertretenen Steuerpflichtigen der Ablauf des 31.05.2018.

    Häufig liest man dann im Zinsbescheid des Finanzamtes:

    „Beginn des Zinslaufes: 31.05.2018“

    Ausnahme: Spätere Fälligkeit

    Das ist jedoch falsch, denn dabei wurde die (Be-)Rechnung ohne § 235 Abs. 2 S. 2, 2. HS und S. 2 AO gemacht („… es sei denn, dass die hinterzogenen Beträge ohne die Steuerhinterziehung erst später fällig geworden wären. In diesem Fall ist der spätere Zeitpunkt maßgebend.“).

    Hier greift die Ausnahme: Gemäß § 18 Abs. 4 S. 1 UStG wird nach Abgabe einer Umsatzsteuer-Jahreserklärung (Jahresanmeldung) ein Unterschiedsbetrag zugunsten des Finanzamtes erst einen Monat nach Eingang der Jahresanmeldung fällig.

    Unterstellt man, dass die Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2017 am letzten Tag der Anmeldungsfrist (31.05.2018) abgegeben worden wäre – was zulässig ist -, dann wäre die USt-Nachzahlung (erst) mit Ablauf des 30.06.2018 fällig gewesen. Der Zinslauf beginnt daher erst mit Ablauf des 30.06.2018.

    Da der 30.06.2018 ein Sonnabend war, verschiebt sich die Fälligkeit gemäß § 108 Abs. 3 AO auf den nächstfolgenden Werktag (hier: 02.07.2018).
    Praxis-Tipp

    Es lohnt sich, den Beginn des Zinslaufs nachzuprüfen. Je nachdem, wie hoch der zu verzinsende Betrag bzw. die verkürzten Steuern sind, kann der Fehler des Finanzamtes dem Mandanten sonst hunderte bis tausende Euro zusätzlich kosten. Ist der Zinslauf falsch berechnet, sollte Einspruch eingelegt und Aussetzung der Vollziehung beantrag werden. – Bei der Einkommensteuer enthält § 36 Abs. 4 EStG eine Regelung zur Fälligkeit.

  • Finanzgerichtsverfahren: Rücknahme oder Erledigungserklärung bei Abhilfe des Finanzamtes?

    Nicht selten kommt es vor, dass das Finanzamt im laufenden Finanzgerichtsverfahren abhilft, z. B. den angefochtenen Steuer- oder Haftungsbescheid ersatzlos aufhebt oder die zunächst abgelehnte Aussetzung der Vollziehung (AdV) nun doch gewährt.

    Abhilfe des Finanzamtes im AdV-Verfahren

    Aktueller Beispielsfall: Für eine Mandantin beantragte ich beim Finanzgericht die AdV von Einkommensteuerbescheiden. Nachdem ich den AdV-Antrag begründete, führte das beim Finanzamt offenbar zu einem Umdenken, denn es gewährte nunmehr von sich aus die AdV, ohne dass das Finanzgericht entscheiden musste.

    Daraufhin erhielt ich folgende Aufforderung vom Finanzgericht:

    „Teilen Sie bitte mit, ob Sie den Aussetzungsantrag bzgl. der Einkommensteuer … aufrechterhalten oder ggf. zurücknehmen.“

    Kosten- und Haftungsfalle

    Beides eine böse Kosten- und Haftungsfalle: Hält man den Antrag aufrecht, besteht aufgrund der Abhilfe des Finanzamtes kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für eine AdV der Einkommensteuerbescheide. Der Antrag wäre unzulässig und müsste kostenpflichtig abgewiesen werden (§ 135 Abs. 1 FGO).

    Erklärt man dagegen die Rücknahme des Antrags, trägt der Antragsteller (= meine Mandantin) gemäß § 136 Abs. 2 FGO zwingend die Kosten des Verfahrens. Eine andere Kostenentscheidung ist nicht möglich.

    Richtigerweise Erledigungserklärung

    Richtigerweise ist hier der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. In diesem Fall muss das Gericht prüfen, wer den Rechtsstreit voraussichtlich verloren hätte. Diesem sind dann die Kosten aufzuerlegen. Im Fall einer Abhilfe – wie in meinem Beispielsfall – sind grundsätzlich dem Finanzamt die Kosten aufzuerlegen (§ 138 Abs. 1, Abs. 2 FGO).

    Fazit und Praxis-Tipp

    Vorsicht also vor einer unüberlegten Rücknahme eines AdV-Antrags oder einer Klage, wenn stattdessen eine Erledigungserklärung in Betracht kommt. Anderenfalls schneidet man der Mandantschaft einen Kostenerstattungsanspruch ab.

    Auch bei einer Kostenentscheidung gemäß § 138 Abs. 2 FGO darf berücksichtigt werden, dass Tatsachen oder Beweismittel verspätet vorgetragen wurden (§ 138 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 137 FGO).

    Im geschilderten Fall ist fraglich, ob das Finanzgericht meine Mandantin bzw. mich bewusst „ins offene Messer laufen lassen“ wollte oder die Anregung zur Rücknahme einfach nur „schlampig“ formuliert war.
  • Amtshaftung des Finanzamtes, da Erstattung zu spät ausgezahlt

    In einem Beitrag aus Januar 2022 berichtete ich darüber, dass ich für eine Mandantin die Aufhebung eines Haftungsbescheides erreicht hatte.

    Erstattungsanspruch, Finanzamt reagiert aber nicht

    Da ein Teil der Haftungssumme (ca. 14.000 €) von meiner Mandantin im Einspruchsverfahren zunächst gezahlt wurde, entstand mit Aufhebung des Haftungsbescheides ein Erstattungsanspruch über diesen Betrag. Meine Mandantin forderte das Finanzamt zweimal erfolglos zur Zahlung auf – das Finanzamt reagierte darauf nicht.

    Im Juli 2022 wurde ich dann mit der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs beauftragt. Zwei Wochen später zahlte das Finanzamt.

    Geltendmachung Amtshaftungsanspruch

    Die Kosten für meine Beauftragung machte ich danach als Amtshaftungsanspruch beim Finanzamt geltend. Ich trug vor, dass das Finanzamt trotz Fälligkeit die Haftungssumme nicht zurückgezahlt und auch sonst keinen Kontakt zu meiner Mandantin aufgenommen habe. Irgendeine Reaktion auf die Zahlungsaufforderung meiner Mandantin sei nicht erfolgt. Daher habe meine Mandantin den Eindruck gewinnen müssen, das Finanzamt werde die Haftungssumme überhaupt nicht oder allenfalls auf anwaltlichen „Druck“ hin zurückzahlen.

    Allen Amtsträgern obliege die allgemeine Amtspflicht, sich bei Wahrnehmung ihrer Aufgaben stets im Rahmen der Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften zu bewegen. Dazu gehöre auch die Beachtung der gesetzlichen Fälligkeitsregel für die Erfüllung von Erstattungsansprüchen (§ 220 AO). Ein Antrag auf Erstattung sei nicht erforderlich, weil das Finanzamt hierüber von Amts wegen zu entscheiden hat. Eine verspätete Auszahlung von Erstattungsansprüchen stelle daher eine Amtspflichtverletzung dar.

    Aufgrund dieser Pflichtverletzung sei meiner Mandantin ein Schaden in Form von Anwaltskosten für die Vertretung bei der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs entstanden. Darüber hinaus habe meine Mandantin einen Anspruch auf Ersatz der Rechtsverfolgungskosten für die Geltendmachung des Amtshaftungsanspruchs.

    Finanzamt erkennt Amtshaftungsanspruch an

    Der Amtshaftungsanspruch wurde vom Finanzamt dem Grunde nach anerkannt. Die konkrete Höhe des Anspruchs wurde vom Finanzamt bemängelt, darüber wurde am Ende aber eine Verständigung erzielt und das Finanzamt erstattete auch die Anwaltskosten.

  • Zweckwidrig verwendete Kautionen als verdeckte Gewinnausschüttungen? – Finanzamt setzt Vollziehung im Finanzgerichtsverfahren aus

    Es kommt nicht so häufig vor, dass man einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzgericht stellt und Akteneinsicht beantragt, das Finanzamt aber nicht die Akten ans Gericht übersendet, sondern sogleich die erstrebte Aussetzung der Vollziehung gewährt. So aber geschehen in einem aktuellen Fall.

    Zweckwidrig verwendete Kautionen als verdeckte Gewinnausschüttung?

    Nach einer Betriebsprüfung kam das Finanzamt zu der Auffassung, der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH habe Mietkautionen zweckwidrig verwendet. Dies stelle eine verdeckte Gewinnausschüttung dar.

    Ich erhob Einspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Nach meiner Auffassung gehören die Kautionen nicht zum Betriebsvermögen der GmbH, können also keine Gewinnauswirkung haben. Daher komme insoweit auch keine Ausschüttung eines Gewinns in Betracht, weder offen noch verdeckt.

    Interessanterweise gewährte das Finanzamt die AdV auf Ebene der GmbH, nicht dagegen beim Einkommensteuerbescheid des Gesellschafter-Geschäftsführers.

    Erledigung des Rechtsstreits, Finanzamt trägt Kosten

    Nach Ablehnung des AdV-Antrags durch das Finanzamt beantragte ich für den Gesellschafter-Geschäftsführer die AdV beim Sächsischen Finanzgericht. Das Finanzamt half aber sofort nach Antragstellung ab und gewährte selbst die AdV. Dadurch hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt und das Finanzamt muss die Kosten des Verfahrens tragen.

  • Finanzamt muss Kosten des Zwangsversteigerungsverfahrens tragen

    In dem Beitrag „Finanzamt vollstreckt zu früh aus Sicherungshypothek“ (Februar 2022) hatte ich von einem Fall berichtet, in dem das Finanzamt kurz vor Weihnachten einen Zwangsversteigerungsantrag gegen eine Mandantin stellte, diesen aber nach meiner Intervention zurücknahm. Daraufhin wurde das Zwangsversteigerungsverfahren aufgehoben.

    Amtsgericht: Mandantin soll trotzdem Verfahrenskosten tragen

    Das zuständige Amtsgericht befand gleichwohl, dass meine Mandantin die Kosten zu tragen habe. „Die Kosten des Verfahrens hat die Schuldnerin gemäß § 788 ZPO zu tragen. Grundsätzlich besteht die Pflicht zur Kostentragung durch den Schuldner für alle notwendigen Zwangsvollstreckungskosten, § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO. … Eine Notwendigkeit besteht nicht für Kosten unzulässiger, schikanöser, überflüssiger oder erkennbar aussichtsloser Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. … Diesbezüglich ist … den Ausführungen des Gläubigers zu folgen.“

    Das Amtsgericht bescheinigte dem Finanzamt, dass der Zwangsversteigerungsantrag rechtmäßig gewesen sei. Für „Schikane“ sah das Amtsgericht offenbar keinerlei Anhaltspunkte; hierzu enthält der Beschluss aber auch keine Begründung.

    Sofortige Beschwerde: Landgericht legt Finanzamt die Kosten auf

    Hiergegen legte ich für meine Mandantin sofortige Beschwerde ein. Das Landgericht Halle (Saale) hob mit Beschluss vom 10.10.2022, Az. 1 T 195/22, die amtsgerichtliche Entscheidung auf und entschied, dass der Gläubiger – also das Finanzamt – die Kosten des Zwangsversteigerungsverfahrens zu tragen habe.

    Das Landgericht stellte maßgeblich auf die schriftliche Zusicherung des Finanzamtes ab, bis zur Entscheidung des Finanzgerichts keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen. „Aufgrund dieses Schreibens durfte die Schuldnerin und Beschwerdeführerin zu Recht davon ausgehen, dass kein Zwangsversteigerungsverfahren beantragt wird, es sei denn, dass in der Zwischenzeit das Finanzgericht über ihre Klage zu ihren Lasten entscheiden bzw. das Finanzgericht rechtliche Hinweise erlassen würde, die auf die Erfolglosigkeit der Klage vor dem Finanzgericht hindeuteten. Hierzu hat der Gläubiger … nicht mehr vorgetragen. …

    Das Verhalten des Gläubigers ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar, es handelt sich dabei um einen offenbar schikanösen und überflüssigen Antrag, der kurz vor Weihnachten bei dem Vollstreckungsgericht gestellt und am 17.01.2022 ohne weitere Begründung wieder zurückgenommen wurde. … Die sofortige Beschwerde war aus vorstehenden Gründen erfolgreich.“

    Die Voraussetzungen des § 322 Abs. 4 AO sah das Landgericht dagegen – anders als ich – als eingehalten an. Aber das hatte keinen Einfluss auf die Entscheidung.