In Heft 5/2022 der Zeitschrift PStR erscheint mein Fachbeitrag zum Thema „Verkürzung von Kirchensteuer: Keine Haftung gem. § 71 AO.“ Hintergrund ist eine aktuelle BGH-Entscheidung, wonach die Verkürzung von Kirchensteuer keine Steuerhinterziehung darstellt. Das hat auch Auswirkungen auf das steuerliche Haftungsrecht.
Author: Rico Deutschendorf
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„Steuerstrafrecht Aktuell“ – Online-Vortrag am 02.03.2022
Am 02.03.2022 hielt ich für den Leipziger Strafverteidiger e. V. im Rahmen der Anwaltsfortbildung einen 1,5stündigen Online-Vortrag zum Thema „Steuerstrafrecht Aktuell.“
Hier können Sie eine Übersicht zu meinen Vorträgen abrufen.
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Finanzamt vollstreckt zu früh aus Sicherungshypothek
Wenn das Finanzamt in Grundstücke des Steuerpflichtigen vollstreckt, lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn dabei unterlaufen dem Finanzamt manchmal Fehler, die die Vollstreckung rechtswidrig und anfechtbar machen, wie der nachfolgende Praxisfall zeigt.
Hintergrund: Vollstreckung durch das Finanzamt
Während sich im Zivilrecht der Gläubiger, wenn er gegen den Schuldner vollstrecken will, zunächst vor Gericht einen vollstreckbaren Titel holen muss, läuft das im Steuerrecht komplett anders. Wenn das Finanzamt meint, dass Steuer(nach)forderungen bestehen, erlässt es einen Steuerbescheid (z. B. Einkommensteuerbescheid). Das ist schon der vollstreckbare Titel. Wird bei Fälligkeit nicht bezahlt und ist auch kein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt (oder wurde ein solcher Antrag abgelehnt), dann droht die Vollstreckung. Und das Finanzamt vollstreckt seine eigenen Steuerbescheide auch noch selbst.
Typische Vollstreckungsmaßnahmen sind die Pfändung eines Bankkontos oder auch – wenn Grundstücke vorhanden sind – die Eintragung einer Sicherungshypothek im Grundbuch. Auf Basis dieser Sicherungshypothek kann später dann die Zwangsversteigerung betrieben werden.
Praxisfall: Betriebsprüfung mit Zuschätzungen
Im Fall meiner Mandantin bestehen aus Sicht des Finanzamtes Steuernachforderungen (ca. 50.000 €). Hintergrund war eine Betriebsprüfung, die u. a. zu Zuschätzungen führte. Das Einspruchsverfahren gegen die Schätzungsbescheide war erfolglos und die Mandantin reichte (selbst) Klage beim Finanzgericht ein, das ich später übernahm. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) wurde vom Finanzamt abgelehnt.
Parallel ließ das Finanzamt eine Sicherungshypothek auf das Grundstück meiner Mandantin eintragen, sicherte jedoch schriftlich zu, bis zur Entscheidung des Finanzgerichts daraus nicht zu vollstrecken.
Finanzamt beantragt Zwangsversteigerung
Kurz vor Weihnachten 2021 beantragte das Finanzamt aber doch die Zwangsversteigerung. In Sachsen-Anhalt – hier spielt sich der Fall ab – gibt es keinen Weihnachtsfrieden.
Dagegen legte ich für meine Mandantin Einspruch ein (der Antrag des Finanzamtes auf Anordnung der Zwangsversteigerung ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt – es kann Einspruch eingelegt werden). Zugleich beantragte ich beim Amtsgericht die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung.
§ 322 Abs. 4 AO nicht beachtet
Zur Begründung trug ich vor, dass das Finanzamt zugesichert habe, aus der Sicherungshypothek bis auf weiteres nicht zu vollstrecken. Zudem wies ich auf § 322 Abs. 4 AO hin. Danach soll die Vollstreckungsbehörde (Finanzamt/Vollstreckungsstelle) die Zwangsversteigerung nur beantragen, wenn festgestellt ist, dass der Geldbetrag durch Vollstreckung in das bewegliche Vermögen nicht beigetrieben werden kann. „Soll“ heißt, dass das Finanzamt hier diese Vorschrift im Regelfall beachten muss, es sei denn, es bestehen irgendwelche Besonderheiten. Daran fehlte es in meinem Fall.
Rücknahme des Zwangsversteigerungsantrags und Fortgang
Daraufhin nahm das Finanzamt den Zwangsversteigerungsantrag beim Amtsgericht zurück. Das Finanzamt wird jetzt die Kosten dieses Verfahrens tragen müssen.
Aber das Finanzamt ist „lernfähig.“ Es unternimmt gerade einen zweiten Anlauf, fordert meine Mandantin nochmals zur Zahlung auf und droht bei Nichtzahlung mit Fortführung des Vollstreckungsverfahrens. Voraussichtlich wird das Finanzamt versuchen, in das bewegliche Vermögen zu vollstrecken, um der Vorschrift des § 322 Abs. 4 AO zu genügen.
Zwischenzeitlich habe ich jedoch die AdV beim Finanzgericht beantragt. Dadurch erreicht man im Normalfall eine faktische Vollstreckungssperre, weil das Finanzamt bis zur Entscheidung des Finanzgerichts über den AdV-Antrag nicht vollstrecken wird. Die Schätzung und weitere Punkte sind auch tatsächlich rechtlich zweifelhaft, so dass ich mit einem stattgebenden AdV-Beschluss des Finanzgerichts rechne.
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Kurzrezension: Rolletschke, Steuerstrafrecht, 5. Aufl. 2021
Das wurde aber auch Zeit: Im November 2021 erschien die Neuauflage des Klassikers „Steuerstrafrecht“ von Stefan Rolletschke (5. Auflage 2021).
Zielgruppe: Studierende, aber auch Praktiker
Das Werk richtet sich – in der Reihe „Schwerpunktstudium“ des Verlags Vahlen erschienen – an Studierende der Wahlfächer Steuerrecht und Wirtschaftsstrafrecht, Referendare sowie Berufsanfänger und soll ihnen einen Einstieg in das Steuerstrafrecht ermöglichen. Aber auch gestandene Praktiker werden ihren Nutzen aus dem Buch ziehen.
Gliederung
Das Buch ist wie folgt gegliedert:
- 1. Teil. Materielles Steuerstrafrecht
- 2. Teil. Materielles Steuerordnungswidrigkeitenrecht
- 3. Teil. Verjährung
- 4. Teil. Selbstanzeige
- 5. Teil. Steuerstrafverfahrensrecht
- 6. Teil. Strafverfahren/Besteuerungsverfahren
Inhalt und Aktualität
Im materiellen Steuerstrafrecht (1. Teil) stellt Rolletschke verständlich und ausführlich Tatbestand, Täterschaft und Teilnahme, Konkurrenzverhältnisse und die Rechtsfolgen (insbesondere Strafzumessung) der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) als Zentraldelikt des Steuerstrafrechts dar. Speziell für den Praktiker interessant sind die dort beschriebenen Einzelfälle der Steuerhinterziehung, beispielsweise Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Erbschaft-/Schenkungsteuer, Umsatzsteuerkarussellen und die Hinterziehung von Grunderwerbsteuer.
Das materielle Steuerordnungswidrigkeitenrecht (2. Teil) nimmt viel Raum ein. Allerdings spielen Steuerordnungswidrigkeiten in der Praxis kaum eine Rolle (Arbeitshypothese der BuStra: „Der objektive Tatbestand indiziert den Vorsatz, also Steuerhinterziehung.“). Aber das wird sich in Zukunft ggf. ändern.
Sehr zu begrüßen ist, dass der Verjährung im Steuerstrafrecht ein separater (3.) Teil des Buches eingeräumt wird. Das wird auch der enormen Bedeutung der Verfolgungsverjährung in der Praxis gerecht. Nicht selten wird die Verfolgungsverjährung übersehen oder falsch berechnet, sowohl von Seiten der Strafverfolger als auch beraterseitig.
Zudem: Hat man auf Verfolgerseite nicht genug personelle Kapazitäten oder ist der Verfolgungswille aus sonstigen Gründen schwach, dann wird – wenn der gesellschaftliche und politische Druck steigt – schnell mal eben an der Verfolgungsverjährung herumgedoktert (Stichwort: „Cum-Ex“). Rolletschke vollzieht diese Entwicklungen nach und ist hier auf dem neuesten Stand.
Aufgrund der tiefgreifenden Änderungen bei der Selbstanzeige (§ 371 AO) zum 01.01.2015 war das Selbstanzeige-Kapitel der Vorauflage (Stand: 2012) nicht mehr brauchbar. Nunmehr ist es wieder „up to date“ (4. Teil des Buches).
Dass Steuerstrafrecht ohne Steuerrecht nicht funktionieren kann (Stichwort: „Blankettstrafrecht“) – ebensowenig wie Steuerstrafverteidigung ohne steuerrechtliche Kenntnisse – ist sicherlich eine Binsenweisheit. Sehr gut ist aber, dass Rolletschke den komplexen Wechselwirkungen zwischen (Steuer-)Strafverfahren und Besteuerungsverfahren einen eigenen Teil des Buches widmet (6. Teil). Im Strafverfahren darf der Beschuldigte schweigen und unter Umständen sogar lügen. Im Besteuerungsverfahren muss er als Steuerpflichtiger dagegen mitwirken – wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen. Dieses Spannungsverhältnis stellt Rolletschke anschaulich und präzise dar.
Das Buch hat den Stand August 2021. Auch die Zinsentscheidung des BVerfG vom 08.07.2021 ist schon berücksichtigt und in ihren Auswirkungen auf das Steuerstrafrecht gewürdigt. An vergleichbarer Literatur findet man derzeit nichts Aktuelleres.
Verbesserungswürdiges
Verbessern ließe sich die Zitierweise von Entscheidungen (z. B. „BGH wistra 2008, 310“ oder „BGH BeckRS 2021, 9415“). Die Zeiten, in denen man Mandanten mit Zeitschriften- und Bücherwänden beeindrucken konnte und deshalb ein Arsenal an papiernen Abonnements vorhalten musste, gehen – gerade in Zeiten zunehmender Akzeptanz von Home-Office und Videokonferenzen – dahin. Vielfach wird in der Praxis (nur noch) mit Datenbanken gearbeitet, so dass es sehr hilfreich wäre, die jeweilige Entscheidung (auch) mit Datum und Aktenzeichen zu zitieren. Mir ist bewusst, dass die Verlage hier Vorgaben machen, die aber zu überdenken sind.
Auch die Struktur der Randnummern sollte bei der nächsten Auflage überdacht werden. In der (4.) Vorauflage waren die Randnummern noch durchgehend von der ersten bis zur letzten Seite des Buches gesetzt, was die Zitierung erleichterte. Nunmehr beginnen die Randnummern in jedem der sechs Teile des Buches wieder neu. Man kann jetzt beispielsweise nicht mehr einfach zitieren: „Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 139“, weil man dann entweder beim Thema Kirchensteuer (1. Teil), beim entgeltlichen Inverkehrbringen (2. Teil) oder bei der Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (3. Teil) usw. landet. Insoweit ist eine Rückkehr zur Vorauflage wünschenswert.
Fazit
Schon anhand des Umfangs (ca. 450 Seiten) wird klar, dass der neue Rolletschke mehr als einen bloßen Einstieg in das Steuerstrafrecht zu bieten hat. Das Buch ist auch für erfahrene Praktiker und Berater eine unentbehrliche und vor allem aktuelle Arbeitshilfe, um das bisher angehäufte Wissen aufzufrischen, zu vertiefen und auch die eine oder andere Idee für die Verteidigungspraxis mitzunehmen, auch wenn man als Berater sicherlich nicht immer der gleichen Auffassung wie Rolletschke sein wird. Aber das tut dem Buch keinen Abbruch. Im Gegenteil – es schärft die eigene Wahrnehmung und Argumentation.
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Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019: Steuerstrafverfahren teilweise mangels Tatverdacht eingestellt
Meinem Mandanten wurde von der Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) unter anderem vorgeworfen, durch Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019 eine Steuerhinterziehung begangen zu haben. Jetzt wurde das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren in diesem Punkt mangels Tatverdacht eingestellt.
Pflichtwidrigkeit bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen
Steuerhinterziehung durch Unterlassen einer Steuererklärung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) setzt voraus, dass der Beschuldigte pflichtwidrig gehandelt hat. Das ist der Fall, wenn gegen Steuererklärungspflichten verstoßen wurde. Für die Abgabe von Steuererklärungen bestehen jedoch Fristen. Erst wenn die Steuererklärungsfrist vollständig abgelaufen ist, kann überhaupt eine Pflichtwidrigkeit vorliegen.
Steuererklärungsfristen 2019 – „Corona“-Besonderheiten
Das führt zu der Frage, welche Steuererklärungsfrist für 2019 bei meinem Mandanten galt. Dabei ist zu unterscheiden, ob der Mandant seine Steuererklärungen selbst erstellt oder ob es sich hierbei eines steuerlichen Beraters bedient. Im Grundsatz war die Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019 bis zum 31.07.2020 abzugeben („Jedermann-Frist“). Mein Mandant war jedoch steuerlich beraten, so dass er dafür bis zum 28.02.2021 Zeit hatte („Beraterprivileg“).
Allerdings ist die „Corona“-bedingte Sonderregelung des Art. 97 § 36 Abs. 1 EGAO zu beachten. Für die Jahressteuererklärungen 2019 lief bei beratenen Steuerpflichtigen die Abgabefrist erst am 31.08.2021 ab. Das bedeutet, mein Mandant hatte bis zum 31.08.2021 Zeit, seine USt-Jahreserklärung für 2019 einzureichen.
Teilweise verfrühte Einleitung des Ermittlungsverfahrens
Am 17.05.2021 reichte mein Mandant seine Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019 durch seinen Steuerberater beim Finanzamt ein. Daraufhin wurde am 31.05.2021 gegen den Mandanten ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Vorwurf lautete, die Umsatzsteuer-Jahreserklärungen 2017, 2018 und 2019 nicht bzw. nicht rechtzeitig eingereicht zu haben.
Die BuStra ging davon aus, dass mein Mandant bei Ablauf der Steuererklärungsfrist 2019 (nach Auffassung der BuStra: am 31.05.2020) steuerlich noch nicht vertreten war. Somit gelte für ihn das „Beraterprivileg“ nicht. Dabei übersah die Bußgeld- und Strafsachenstelle sogar die ab Veranlagungszeitraum 2018 geltende Verlängerung der „Jedermann-Frist“ auf den 31.07. des Folgejahres.
Verteidigungsaktivitäten
Im Ermittlungsverfahren konnte ich nachweisen, dass mein Mandant bereits vor dem 31.05.2020 steuerlich vertreten war. Dazu genügt die Beauftragung des Steuerberaters. Eine Anzeige der Beauftragung beim Finanzamt ist nach dem Gesetz nicht erforderlich. Somit galt für meinen Mandanten das „Beraterprivileg“ und zugleich die „Corona“-bedingt verlängerte Abgabefrist (31.08.2021). Da die Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019 am 17.05.2021 eingereicht wurde – also vor Fristablauf (31.08.2021) –, könne meinem Mandanten insoweit keine Pflichtwidrigkeit vorgeworfen werden.
Nach einigem Hin und Her hielt die BuStra an ihrem Vorwurf nicht mehr fest und stellte das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren betreffend die Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2019 mangels Tatverdacht ein.
Praxis-Tipp
Aufgrund der verschiedenen Steuererklärungsfristen – vor VZ 2018, ab VZ 2018, „Corona-Sonderregelungen“ in den VZ 2019 und 2020 – wird die Bestimmung der einschlägigen Abgabefrist zukünftig fehleranfälliger werden. Hier sollte die Verteidigung also genauer hinschauen.
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Cum-Ex-Geschäfte und Steuerhinterziehung in der „Süddeutschen“
Auf der Website der Süddeutschen Zeitung ist eine informative Seite zum Thema „Cum-Ex“ abrufbar.
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BFH-Website nach Hackerangriff abgeschaltet
Wer derzeit Pressemitteilungen oder Entscheidungen auf der Website des BFH abrufen möchte, erhält den Hinweis, dass „aufgrund von Wartungsarbeiten am Server … unsere Webseite bis auf Weiteres nicht erreichbar“ ist. Hintergrund ist ein Hackerangriff, von dem offenbar auch der Server des BFH betroffen ist.
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Betriebsprüfung darf von Einnahmen-Überschuss-Rechnern keinen GDPdU-Datenträger verlangen
Grundsätzlich darf das Finanzamt bzw. die Betriebsprüfung die aufbewahrungspflichtigen Unterlagen (insbesondere Buchführungsunterlagen) des Steuerpflichtigen einsehen, auch in Form von gespeicherten Daten. Dazu wird im Normalfall reflexartig zu Beginn der Betriebsprüfung die Überlassung eines Datenträgers mit den entsprechenden Daten verlangt.
Das Verlangen eines Betriebsprüfers nach „Überlassung eines Datenträgers nach GDPdU“ gegenüber einem Einnahmen-Überschuss-Rechner (hier: Rechtsanwaltssozieät) ist jedoch rechtswidrig, so der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Urteil vom 07.06.2021, Az. VIII R 24/18. Der Umfang des beabsichtigten Zugriffs auf die Daten der Rechtsanwaltssozietät sei nicht hinreichend begrenzt. Die Datenträgerüberlassung kann sich nur auf aufbewahrungspflichtige Daten beziehen.
Zudem – gerade vor dem Hintergrund von „Corona“ und Home-Office sehr interessant – sei die Aufforderung unverhältnismäßig und rechtswidrig, weil sie keine Beschränkung enthielt, dass der überlassene Datenträger vom Prüfer nur in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen oder in den Diensträumen des Finanzamtes ausgewertet werden darf. Für eine Auswertung der Daten außerhalb dieser Räume – etwa auf dem Dienstlaptop des Außenprüfers – bestehe keine Rechtsgrundlage.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebiete es, der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der geschützten Daten von Berufsgeheimnisträgern Rechnung zu tragen und nach Möglichkeit auszuschließen, dass die Daten außerhalb der Geschäftsräume des Steuerpflichtigen oder der Diensträume der Finanzverwaltung, z.B. infolge eines Diebstahls des Prüfer-Notebooks, in fremde Hände geraten können. Dieses Bedürfnis sei ohne nennenswerte Beeinträchtigung einer rechnergestützten Außenprüfung angemessen berücksichtigt, wenn die Daten des Steuerpflichtigen nur in seinen Geschäftsräumen oder an Amtsstelle erhoben und verarbeitet werden dürfen. Damit schließt sich der BFH einer Entscheidung aus 2014 an (BFH, Urteil vom 16.12.2014, Az. VIII R 52/12).
► Praxis-Tipp Die Aufforderung des Finanzamtes bzw. der Betriebsprüfung an den Steuerpflichtigen, Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger für eine Betriebsprüfung zur Verfügung zu stellen, kann mittels Einspruch (und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung) angefochten werden. Das Finanzamt muss die Datenträgerüberlassung auf die jeweils konkreten Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten beschränkten.
Eine Datenträgerüberlassung durch Berufsgeheimnisträger (Rechtsanwälte, Steuerberater, …) ist besonders kritisch zu prüfen. Dabei muss das Finanzamt sicherstellen, dass die Daten des Steuerpflichtigen nur beim Steuerpflichtigen selbst oder nur in den Diensträumen des Finanzamtes verarbeitet bzw. ausgewertet werden dürfen. Damit wäre bspw. eine „Mitnahme“ der Daten ins Home-Office des Prüfers mittels Notebook unzulässig.
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Terminsverlegung bei nicht rechtzeitig erhaltener Klageerwiderung
Nur in bestimmten Fällen – „aus erheblichen Gründen“, wie es in § 227 Abs. 1 ZPO heißt (§ 155 FGO verweist auf diese Vorschrift) – ist ein Verhandlungstermin vor dem Finanzgericht zu verlegen.
In einem Beschluss vom 29.07.2021, Az. IX B 56/20, sah der Bundesfinanzhof (BFH) einen solchen erheblichen Grund darin, dass dem Kläger die Klageerwiderung des Finanzamtes nicht rechtzeitig vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung zustellt wurde. Deshab hatte der Kläger Terminsverlegung beantragt. Trotzdem hatte das Finanzgericht (ohne Anwesenheit des Klägers) verhandelt.
So nicht, meinte der BFH. Durch die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Klägers sei dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Das Finanzgericht habe vielmehr dem Terminsverlegungsantrag stattgeben müssen. Eine Übergabe von Schriftsätzen in der mündlichen Verhandlung sei grundsätzlich nicht ausreichend, selbst wenn der Finanzrichter meint, in der Klageerwiderung stehe nichts neues drin.
► Praxis-Tipp Vor dem Finanzgericht kann auch bei Ausbleiben eines Beteiligten (z. B. des Klägers) verhandelt und entschieden werden. Voraussetzung ist eine ordnungsgemäße Ladung zur mündlichen Verhandlung (vgl. § 91 Abs. 2 FGO). Versäumnisurteile wie im Zivilprozess gibt es im Finanzgerichtsprozess nicht.
Ganz gefährlich wird es, wenn man in einem solchen Fall der nicht rechtzeitig übermittelten Klageerwiderung trotzdem zur mündlichen Verhandlung erscheint. Dann muss man (zu Protokoll) die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen. Anderenfalls – so die Rechtsprechung – verzichtet man auf sein Rügerecht, kann die Rüge also später in der Revision nicht mehr vorbringen.
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Untätigkeitsklage setzt vorherigen Einspruch voraus
Einspruchsverfahren können mitunter Jahre dauern. Manchmal möchte man das Finanzamt „auf die Jagd tragen“ und zwingen, schneller zu entscheiden. Dafür bietet sich die so genannte Untätigkeitsklage nach § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an. Das ist keine besondere Klage, sondern eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass vor Klageerhebung das Einspruchsverfahren abgeschlossen sein muss. Im Normalfall wird ja erst dann Klage beim Finanzgericht eingereicht, wenn eine Einspruchsentscheidung des Finanzamtes vorliegt.
Grundsätzlich kann die Untätigkeitsklage auch erst nach Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des Einspruchs erhoben werden.
Zu beachten ist, dass bei Erhebung der Untätigkeitsklage auch tatsächlich noch ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Wurde beispielsweise versäumt, gegen einen Steuerbescheid rechtzeitig Einspruch einzulegen (und kommt auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht), dann ist auch eine Untätigkeitsklage unzulässig. Das bestätigte der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Urteil vom 23.03.2021, Az. VII R 7/19.
► Praxis-Tipp Bevor Untätigkeitsklage erhoben wird, muss immer geprüft werden, ob überhaupt Einspruch eingelegt wurde. Das wird – wie die Entscheidung vom 23.03.2021 zeigt – hin und wieder auch von Beratern übersehen.
Zudem sind grundsätzlich sechs Monate seit Einspruchseinlegung abzuwarten. Daran scheitert aber nicht die Zulässigkeit der Klage. Wurde die Untätigkeitsklage zu früh erhoben, kann die Klage im Laufe des Finanzgerichtsverfahrens noch „in die Zulässigkeit hineinwachsen.“
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Cum-Ex: Flüchtigem Angeklagten darf Reisepass entzogen werden
Die Entziehung eines Reisepasses ist rechtmäßig, wenn sich ein Beschuldigter ins Ausland absetzt und Tatsachen dafür vorliegen, dass er sich dem Strafverfahren entziehen wolle. Das entschied das Verwaltungsgericht Berlin, 06.12.2021, VG 23 L 684/21, in einem Eilverfahren.
Hintergrund ist eine Anklage in einem Steuerstrafverfahren gegen den mutmaßlichen „Erfinder“ der Cum-Ex-Deals, Hanno Berger („Mr. Cum-Ex“), in dem Steuerhinterziehungen im besonders schweren Fall vorgeworfen werden. Rechtsgrundlage sind §§ 8 und 7 Abs. 1 Nr. 2 des Passgesetzes. Interessant auch Nr. 4 von § 7 PassG („Steuerflucht-Klausel“).
Die Entscheidung ist derzeit (Stand: 15.12.2021) noch nicht veröffentlicht. Es wird sicherlich auch noch Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt werden.
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Seminar „Verfahrensrecht: Dein Freund und Helfer“
Am 03.11.2021 nahm ich an einem Online-Seminar zum Thema „Verfahrensrecht: Dein Freund und Helfer“ in Leipzig teil. Veranstaltet wurde das Seminar vom Steuerberaterverband Sachsen.