Vor über 10 Jahren schrieb ich bereits über die Tücken der öffentlichen Zustellung. Der Bundesfinanzhof (Urteil vom 08.03.2022, VI R 37/19) entschied, dass eine öffentliche Zustellung rechtmäßig sei, wenn eine Zustellung von Steuerbescheiden in der Schweiz unmittelbar durch die Post (noch) nicht zulässig ist. Unmittelbare Postzustellungen in die Schweiz seien völkerrechtlich erst für Besteuerungszeiträume ab 01.01.2018 zulässig.
Author: Rico Deutschendorf
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Online-Handel mit Autoteilen: Steuerstrafverfahren endet mit abgesprochenem Strafbefehl
Meinem Mandanten, der einen Online-Handel mit Autoteilen betrieb, wurde vorgeworfen, für mehrere Jahre unrichtige Steuererklärungen abgegeben und dadurch Steuern in Höhe von insgesamt ca. 165.000,00 € verkürzt zu haben. Ein Vorwurf betraf einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung (Steuerverkürzung von mehr als 50.000,00 € Umsatzsteuer in einem Jahr).
Das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren konnte jetzt durch einen mit der Staatsanwaltschaft im Vorfeld abgesprochenen Strafbefehl (rechtskräftig) beendet werden. Darin wurde eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ausgesprochen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Mein Mandant kam damit noch einigermaßen glimpflich davon. Vor Gericht hätte es weitaus schlimmer kommen können, insbesondere weil die Steuern noch nicht nachgezahlt wurden.
Daher wurde auch eine Einziehung angeordnet. Die Staatsanwaltschaft wird also die Steuern beim Mandanten vollstrecken.
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Zitat der Woche: „2019 ist lange her“
„Die Taten liegen lange zurück (Tatzeit: 09.01.2019)“
schreibt mir die Staatsanwaltschaft in einer Einstellungsverfügung vom 31.08.2022 zu einem Steuerstrafverfahren. Dagegen habe ich natürlich nichts einzuwenden.
Typischerweise hat man es im Steuerstrafverfahren mit Tatvorwürfen zu tun, die sehr lange zurück liegen und zum Teil schon verjährt sind.
Praxis-Tipp
Ein langer Zeitraum zwischen der Tat und der späteren Verurteilung ist ein Strafmilderungsgrund und häufig auch ein Grund, das Strafverfahren insbesondere gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen. -
Steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt eingestellt
Meinem Mandanten, ein Rechtsanwalt, wurde vorgeworfen, unrichtige Einkommensteuererklärungen abgegeben zu haben.
Rechnungseingang im falschen Besteuerungszeitraum verbucht
Einer der Vorwürfe war eine Eingangsrechnung, zu der seitens der Betriebsprüfung ein Zufluss festgestellt wurde. Dieser Zufluss war in der Buchführung des Mandanten für das betreffende Jahr aber nicht erfasst. Nach Akteneinsicht und Prüfung der eingereichten Steuererklärungen (auch) der Vorjahre wurde festgestellt, dass der Rechnungseingang – unter Verstoß gegen das Zuflussprinzip beim Einnahmen-Überschuss-Rechner – in der Steuererklärung des Vorjahres enthalten war, obwohl der Rechnungsbetrag erst im Folgejahr zufloss.
Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren ein
Ich argumentierte, dass insoweit kein Vorsatz vorliege – die Einnahme sei ja versteuert, wenn auch im falschen Jahr. Da damit ein Großteil des strafrechtlichen Vorwurfs wegfiel, regte ich an, das Ermittlungsverfahren nach § 153 StPO einzustellen. Die Staatsanwaltschaft kam dem auch nach.
Praxis-Tipp
Bei Ermittlungsverfahren gegen Berufsträger (Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer u. ä.) entscheidet die Staatsanwaltschaft über den Abschluss des Ermittlungsverfahrens, auch wenn die Sache vorher von der Bußgeld- und Strafsachenstelle ausermittelt wurde.Steuerrechtliches Nachspiel
Die Sache hat noch ein steuerrechtliches Nachspiel. Für das Jahr, in dem der Zufluss zu Unrecht versteuert wurde (weil kein Zufluss stattfand), habe ich für meinen Mandanten einen Änderungsantrag gestellt und die Erstattung der zuviel bezahlten Einkommensteuer beantragt.
Update (04.10.2022): Zwischenzeitlich hat das Finanzamt dem Änderungsantrag stattgegeben und die vom Mandanten zuviel entrichtete Einkommensteuer erstattet.
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Weihnachtsbäume nicht grunderwerbsteuerpflichtig
Klingt zunächst kurios – was haben Weihnachtsbäume mit der Grunderwerbsteuer zu tun? Ihnen sind sicherlich Grundstücke bekannt, auf denen Weihnachtsbäume „gezüchtet“ werden, meist zum Selbst-Schlagen bzw. -Absägen.
Grundstücksveräußerung unterliegt Grunderwerbsteuer
Kauft jemand ein Grundstück, dann fällt grundsätzlich Grunderwerbsteuer an. Bemessungsgrundlage ist normalerweise die Gegenleistung (Kaufpreis). Fraglich ist, ob der anteilige Kaufpreis, der auf die gepflanzten Weihnachtsbäume (und nicht auf das Grundstück selbst) entfällt, mit zur Bemessungsgrundlage gehört oder nicht.
Weihnachtsbäume gehören nicht in Bemessungsgrundlage
Das Finanzamt hatte das im Streitfall bejaht und die Grunderwerbsteuer auf den Gesamtkaufpreis festgesetzt.
Die dagegen vor dem Finanzgericht geführte Klage hatte Erfolg und auch der Bundesfinanzhof (BFH) gab dem Kläger Recht. Zwar gehörten auch wesentliche Bestandteile zum Grundstück und in die Bemessungsgrundlage. Allerdings handele es sich bei den Weihnachtsbaumkulturen um Scheinbestandteile, die nicht in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen seien (BFH, 23.02.2022, II R 45/19).
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Keine Verzinsung der Kernbrennstoffsteuer
Zugegeben: Eine etwas „exotische“ Steuerart (die zudem für verfassungswidrig erklärt wurde), aber das BVerfG (Beschluss vom 30.06.2022, 2 BvR 737/20) befasste sich mit einem Grundproblem des Steuerverfahrensrechts.
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis – hier ging es um die Erstattung von zu Unrecht erhobener Kernbrennstoffsteuer – werden nur dann verzinst, wenn das gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 S. 1 AO). Für die Kernbrennstoffsteuer ist eine Verzinsung gesetzlich aber nicht vorgeschrieben. Das BVerfG hielt das für rechtmäßig. Der Gesetzgeber war auch nicht verpflichtet, eine gesetzliche Regelung zu schaffen.
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Haftung für (verfassungswidrige) Säumniszuschläge?
An der Höhe der Säumniszuschläge (12 % pro Jahr) bestehen verfassungsrechtliche Zweifel. In einem Beitrag auf steuerhaft.de habe ich mich damit auseinandergesetzt, was das für eine Haftung für Säumniszuschläge bedeutet.
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Zitat der Woche: Zahlungsverjährung gehört nicht in Abrechnungsbescheid?
Ein sächsisches Finanzamt schreibt mir:
„Hinsichtlich der Zahlungsverjährung kann durch einen Abrechnungsbescheid keine Entscheidung getroffen werden.“
Das ist Unfug. Die Streitfrage, ob ein Steueranspruch zahlungsverjährt ist oder nicht, ist ein typischer Anwendungsfall für einen Abrechnungsbescheid im Sinne von § 218 Abs. 2 AO. Ein Abrechnungsbescheid entscheidet darüber, ob eine bestimmte Zahlungsverpflichtung erloschen ist (§ 47 AO), d. h. ob wirksam gezahlt, aufgerechnet, verrechnet, erlassen, ob Verjährung eingetreten, die Schuld bereits vor der Begründung der Zahlungspflicht erloschen oder der Forderungsausgleich durch Vollstreckungsmaßnahmen erreicht worden ist (BFH, 13.01.2000, VII R 91/98; Rüsken in Klein, AO, § 218 Rn. 12, § 232 Rn. 5).
Hintergrund des zitierten Finanzamt-Schreibens ist ein Streit darüber, ob Steueransprüche des Finanzamtes gegen meinen Mandanten durch Verjährung erloschen sind. Immerhin geht es im konkreten Fall um Lohnsteuer und Umsatzsteuer der Jahre 2005 und 2006. Da kommt durchaus Zahlungsverjährung in Betracht.
Praxis-Tipp
Steueransprüche erlöschen – unter anderem – durch Verjährung (Festsetzungs- oder Zahlungsverjährung. Das ist ein Besonderheit des Steuerrechts. Normalerweise gehen verjährte Forderungen nicht unter, sondern sind nur nicht mehr durchsetzbar, wenn sich jemand auf Verjährung beruft.
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E-Zigaretten-Verkauf nicht versteuert: Strafverfahren endet mit abgesprochenem Strafbefehl
Ein Mandant verdiente jahrelang ganz gut mit dem Verkauf von E-Zigaretten und Liquids. Nur beteiligte er das Finanzamt nicht an seinen Gewinnen. Das gegen ihn eingeleitete Steuerstrafverfahren endete jetzt mit einem abgesprochenen Strafbefehl.
Strafanzeige vom Finanzamt
2016 wurde gegen meinen Mandanten ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren für die Jahre ab 2011 eingeleitet. Die Strafanzeige kam von dem für meinen Mandanten zuständigen Finanzamt. Mein Mandant hatte u. a. zwei GmbHs mit einem Stammkapital von jeweils 25.000 € gegründet (Bargründung) und daneben noch eine Eigentumswohnung gekauft. Daneben gab es weitere Anhaltspunkte (Kontrollmitteilungen) für unversteuerte gewerbliche Einnahmen.
Das schien dem Finanzbeamten überprüfungswürdig, denn der Mandant gab keine Steuererklärungen ab, sondern ließ Schätzungsbescheide über sich ergehen, die er auch bezahlte – schließlich waren die Schätzungen deutlich zu niedrig.
Vorher Selbstanzeigeberatung
Besondere Tragik an der Sache: Zuvor ließ sich der Mandant zur Abgabe einer Selbstanzeige bei mir beraten. Er wollte jedoch keine Selbstanzeige – zu kompliziert, zu teuer und „es wird schon gut gehen.“ Hinterher ist man schlauer.
Ermittlungen der Steuerfahndung und Schadensbegrenzung
Die weiteren Ermittlungen bestätigten den Tatverdacht. Nach einer Kontenabfrage bei der BaFin forderte die Steuerfahndung bei allen Banken meines Mandanten Kontoauszüge an und wertete diese aus. Erst in 2019 wurden meinem Mandanten die Einleitung des Steuerstrafverfahrens und die von der Steuerfahndung aufaddierten Einnahmen und Umsätze bekannt gegeben.
Die Beweislage war „erdrückend“, so dass die Strategie war, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und zu kooperieren, um den Schaden für meinen Mandanten möglichst zu begrenzen. Der Steuerberater meines Mandanten wertete das Zahlenwerk aus und gab in enger Abstimmung mit mir Steuererklärungen für den Mandanten ab, die die Steuerfahndung auch akzeptierte.
Abgabe an Staatsanwaltschaft und Strafbefehl
Am Ende standen ca. 430.000 € hinterzogene Steuern (Einkommensteuer, Umsatz- und Gewerbesteuer für mehrere Jahre) im Raum. Mein Mandant zahlte alle Steuern und Zinsen nach.
Aufgrund der Höhe der Steuerverkürzung wurde die Sache an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Im Normalfall wäre die Sache vor dem Amtsgericht angeklagt worden. Aufgrund der besonderen Umstände (u. a. zeitnahe und vollständige Steuernachzahlung, Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts) war die Staatsanwaltschaft jedoch mit einem Strafbefehl einverstanden, dessen Inhalt (ein Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung) vorher abgesprochen wurde.
Mein Mandant akzeptierte den Strafbefehl. Damit kassierte er zwar eine echte Strafe (der rechtskräftige Strafbefehl hat die gleiche Wirkung wie ein Strafurteil), aber ohne Hauptverhandlung vor Gericht. Vor Gericht hätte es bei der Höhe der verkürzten Steuern für den Mandanten auch weitaus schlimmer (und vor allem teurer) kommen können.
Praxis-Tipp
Eine möglichst frühzeitige und vollständige Steuernachzahlung ist ein erheblicher Strafmilderungsgrund. Man sollte nicht warten, bis das Finanzamt (Änderungs-)Bescheide erlässt. Besser ist es, schon vorab Zahlungen auf die zu erwartenden Steuernachforderungen leisten. Das verhindert auch eine Einziehung bzw. einen Vermögensarrest.
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„Steuerstrafrecht“ – Hybrid-Vortrag am 07.07.2022 in Leipzig
Am 07.07.2022 hielt ich in Leipzig einen 8stündigen Vortrag zum Steuerstrafrecht. Der Vortrag war Teil des Fachanwaltslehrgangs Strafrecht bei ARBER-Seminare.
Hier können Sie eine Übersicht zu meinen Vorträgen abrufen.
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„Ausgewählte aktuelle Probleme des Steuerstrafrechts“ – Online-Vortrag am 12.05.2022 in Berlin
Am 12.05.2022 hielt ich in Berlin einen 2,5stündigen Vortrag zum Thema „Ausgewählte aktuelle Probleme des Steuerstrafrechts“ für das Deutsche Anwaltsinstitut.
Hier können Sie eine Übersicht zu meinen Vorträgen abrufen.
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Keine Einziehung bei versuchter Steuerhinterziehung
Hat der Straftäter durch die Straftat einen Vermögensvorteil erlangt, soll er diesen nicht behalten dürfen. Der Vermögensvorteil wird ihm wieder weggenommen (Vermögensabschöpfung bzw. Einziehung). Streitig war, ob auch bei einer nur versuchten Steuerhinterziehung eine Einziehung möglich ist.
OLG Celle: Einziehung auch bei versuchter Steuerhinterziehung möglich
Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so hat das Gericht zwingend die Einziehung des „Taterlangten“ anzuordnen. Bei der Steuerhinterziehung entspricht das „Taterlangte“ den ersparten (verkürzten) Steuern oder den zu Unrecht erlangten Steuervorteilen. Dies gilt nach der Rechtsprechung jedoch nicht schlechthin, weil die Einziehung an einen beim Täter tatsächlich eingetretenen Vermögensvorteil anknüpft.
Das OLG Celle (14.06.2019, 2 Ss 52/19, rechtskräftig) bejahte in einer – zweifelhaften – Entscheidung eine Einziehung auch bei einer lediglich versuchten Steuerhinterziehung. Das OLG ging in seiner kryptischen Urteilsbegründung davon aus, dass schon die Nichtabgabe einer (Einkommen-)Steuererklärung bei Fristablauf
„einen der Einziehung unterliegenden Vermögensvorteil im Hinblick auf die angefallene Steuerersparnis“
darstelle.
„Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts steht dem die unterbliebene Steuerfestsetzung durch das Finanzamt nicht entgegen.“
BGH: Bei versuchter Steuerhinterziehung (noch) nichts erlangt
Der BGH (08.03.2022, 1 StR 360/21) dagegen erteilte dem OLG Celle in einem anderen Verfahren aber eine deutliche Absage: Das Abschöpfen der ersparten Steueraufwendungen setze
„den Taterfolg, namentlich die zu niedrige oder verspätete Festsetzung (§ 370 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO), voraus; erst damit realisiert sich eine Ersparnis, die ursächlich (… „durch die Tat“) auf die tatbestandsmäßige Handlung zurückzuführen ist … a.A. OLG Celle … das Abstellen auf die Tatvollendung ermöglicht eine rechtssichere und insoweit einfach zu handhabende Vermögensabschöpfung.“
Praxis-Tipp
Eine Einziehung des Taterlangten setzt voraus, dass die Steuerhinterziehung vollendet wurde. Mithin kommt eine Einziehung bei nur versuchter Steuerhinterziehung nicht in Betracht.
In diesem Sinne auch eine Verfügung einer Staatsanwaltschaft vom 09.02.2021 in einem Steuerstrafverfahren, in dem ich als Verteidiger tätig war:
„Absehen Vermögensabschöpfung: Maßnahmen der Vermögensabschöpfung kommen nicht in Betracht, weil es beim Versuch der Steuerhinterziehung geblieben ist. Es wurde nichts erlangt.“
Recht so!