Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Category: Rechtsprechung

  • Terminsverlegung bei nicht rechtzeitig erhaltener Klageerwiderung

    Nur in bestimmten Fällen – „aus erheblichen Gründen“, wie es in § 227 Abs. 1 ZPO heißt (§ 155 FGO verweist auf diese Vorschrift) – ist ein Verhandlungstermin vor dem Finanzgericht zu verlegen.

    In einem Beschluss vom 29.07.2021, Az. IX B 56/20, sah der Bundesfinanzhof (BFH) einen solchen erheblichen Grund darin, dass dem Kläger die Klageerwiderung des Finanzamtes nicht rechtzeitig vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung zustellt wurde. Deshab hatte der Kläger Terminsverlegung beantragt. Trotzdem hatte das Finanzgericht (ohne Anwesenheit des Klägers) verhandelt.

    So nicht, meinte der BFH. Durch die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Klägers sei dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Das Finanzgericht habe vielmehr dem Terminsverlegungsantrag stattgeben müssen. Eine Übergabe von Schriftsätzen in der mündlichen Verhandlung sei grundsätzlich nicht ausreichend, selbst wenn der Finanzrichter meint, in der Klageerwiderung stehe nichts neues drin.

    ► Praxis-Tipp

    Vor dem Finanzgericht kann auch bei Ausbleiben eines Beteiligten (z. B. des Klägers) verhandelt und entschieden werden. Voraussetzung ist eine ordnungsgemäße Ladung zur mündlichen Verhandlung (vgl. § 91 Abs. 2 FGO). Versäumnisurteile wie im Zivilprozess gibt es im Finanzgerichtsprozess nicht.

    Ganz gefährlich wird es, wenn man in einem solchen Fall der nicht rechtzeitig übermittelten Klageerwiderung trotzdem zur mündlichen Verhandlung erscheint. Dann muss man (zu Protokoll) die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen. Anderenfalls – so die Rechtsprechung – verzichtet man auf sein Rügerecht, kann die Rüge also später in der Revision nicht mehr vorbringen.

  • Untätigkeitsklage setzt vorherigen Einspruch voraus

    Einspruchsverfahren können mitunter Jahre dauern. Manchmal möchte man das Finanzamt „auf die Jagd tragen“ und zwingen, schneller zu entscheiden. Dafür bietet sich die so genannte Untätigkeitsklage nach § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an. Das ist keine besondere Klage, sondern eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass vor Klageerhebung das Einspruchsverfahren abgeschlossen sein muss. Im Normalfall wird ja erst dann Klage beim Finanzgericht eingereicht, wenn eine Einspruchsentscheidung des Finanzamtes vorliegt.

    Grundsätzlich kann die Untätigkeitsklage auch erst nach Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des Einspruchs erhoben werden.

    Zu beachten ist, dass bei Erhebung der Untätigkeitsklage auch tatsächlich noch ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Wurde beispielsweise versäumt, gegen einen Steuerbescheid rechtzeitig Einspruch einzulegen (und kommt auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht), dann ist auch eine Untätigkeitsklage unzulässig. Das bestätigte der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Urteil vom 23.03.2021, Az. VII R 7/19.

    ► Praxis-Tipp

    Bevor Untätigkeitsklage erhoben wird, muss immer geprüft werden, ob überhaupt Einspruch eingelegt wurde. Das wird – wie die Entscheidung vom 23.03.2021 zeigt – hin und wieder auch von Beratern übersehen.

    Zudem sind grundsätzlich sechs Monate seit Einspruchseinlegung abzuwarten. Daran scheitert aber nicht die Zulässigkeit der Klage. Wurde die Untätigkeitsklage zu früh erhoben, kann die Klage im Laufe des Finanzgerichtsverfahrens noch „in die Zulässigkeit hineinwachsen.“

  • Cum-Ex-Leerverkäufe und Steuerhinterziehung – Einziehung bei verjährten Steuerforderungen auch rückwirkend zulässig

    Die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer auf der Grundlage von Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften ist Steuerhinterziehung. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am 28.07.2021, 1 StR 519/20. Zugleich hatte der BGH über die Rechtmäßigkeit einer rückwirkenden Einziehung von Taterträgen zu entscheiden.

    Cum-Ex-Leerverkäufe und Steuerhinterziehung

    Das Thema „Cum-Ex“ ist komplex. Der BGH entschied in einem speziellen Fall, dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer auf Basis von Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften Steuerhinterziehung darstellt. Es handelt sich um unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, wodurch ungerechtfertigte Steuervorteile im Sinne von § 370 Abs. 4 S. 2 AO erlangt wurden. Damit bestätigte der BGH die Entscheidung der Vorinstanz (LG Bonn, 18.03.2020, 62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19).

    Einziehung auch rückwirkend zulässig

    Hat der Straftäter oder ein Dritter (hier: eine Bank) durch die Straftat einen Vermögensvorteil (hier: Kapitalertragsteuererstattung als ungerechtfertigter Steuervorteil) erlangt, dann soll er diesen nicht behalten dürfen. Der Vermögensvorteil wird ihm wieder weggenommen (Vermögensabschöpfung bzw. Einziehung).

    Früher war eine Einziehung nicht möglich, wenn die zugrunde liegende Steuerforderung des Finanzamtes schon verjährt war. Das stellte der BGH noch in einer Entscheidung vom 24.10.2019, 1 StR 173/19, klar. Diese Entscheidung ist jedoch überholt. Nachdem überhastet zwei „Nichtanwendungsgesetze“ erlassen wurden, ist seit dem 29.12.2020 eine Neuregelung in § 73e Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) in Kraft, wonach die Einziehung auch „für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind“, zulässig ist.

    Aufgrund der Übergangsvorschrift in § 316j des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) ist die Einziehung bei verjährten Steuerforderungen sogar dann zulässig, wenn die Verjährung bereits vor dem 29.12.2020 eingetreten ist und es sich um eine Steuerverkürzung im großen Ausmaß handelt (Nr. 1 der Vorschrift). Nach Auffassung des BGH verstößt diese Übergangsvorschrift nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

  • Verfassungsbeschwerde gegen erstes Cum-Ex-Urteil des BGH unzulässig

    Mit Urteil vom 28.07.2021, 1 StR 519/20, entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer gegenüber dem Finanzamt auf Grundlage von Cum-Ex-Leerverkäufen den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt.

    In dem BGH-Urteil war u. a. auch die Einziehung von Taterträgen gegenüber einer beteiligten Bank bestätigt worden. Hiergegen hatten Anteilseigner der Bank Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingelegt.

    Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 22.11.2021, 2 BvR 1872/21), nahm die Verfassungsbeschwerde allerdings nicht zur Entscheidung an. Der eine Beschwerdeführer sei gar nicht beschwerdebefugt. Der andere habe sich nicht mit der entgegenstehenden Rechtsprechung des BVerfG auseinandergesetzt, die zu einem vergleichbaren Fall schon vorliege. Zudem hätten beide Beschwerdeführer nicht dargelegt, dass sie den vorrangigen fachgerichtlichen Rechtsschutz ausgeschöpft haben.

  • Einziehungsentscheidung – Richterlicher Hinweis erforderlich

    Hat der Straftäter durch die Straftat einen Vermögensvorteil erlangt, soll er diesen nicht behalten dürfen. Der Vermögensvorteil wird ihm wieder weggenommen (Vermögensabschöpfung bzw. Einziehung). Zur Sicherung der Einziehung, die erst bei einer strafrechtlichen Verurteilung angeordnet wird, kann als vorläufige Maßnahme schon im Ermittlungsverfahren der Vermögensarrest angeordnet werden, z. B. durch Kontenpfändung oder Eintragung einer Sicherungshypothek im Grundbuch.

    Reform der Vermögensabschöpfung 2017

    Mit Wirkung vom 01.07.2017 wurde die Vermögensabschöpfung (Einziehung und Vermögensarrest) reformiert. Bis dahin fristete die Vermögensabschöpfung im Steuerstrafrecht nur ein Schattendasein. Meinecke (DStR 2018, 2387) prophezeite, dass

    „der (neue) Vermögensarrest … in Steuerstrafverfahren das Instrument der kommenden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte“

    ist.

    Diese Prophezeiung ist (leider) eingetreten. In den meisten Fällen wird jetzt eine steuerstrafrechtliche Verurteilung mit einer Einziehungsentscheidung verbunden, wenn die hinterzogenen Steuern noch nicht nachgezahlt wurden. Zahlreiche Entscheidungen des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, der unter anderem die alleinige Zuständigkeit für Revisionen in Steuer- und Zollstrafsachen hat, sind in letzter Zeit zum neuen Einziehungsrecht speziell in Steuerstrafverfahren ergangen.

    Anklageschrift schweigt zur Einziehung – Hinweis erforderlich

    Zwischen dem 5. und dem 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs war bisher streitig, was gilt, wenn die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft oder der Eröffnungsbeschluss des Gerichts die Einziehung nicht erwähnen. Muss der Strafrichter dann in der Hauptverhandlung einen Hinweis geben, dass er eine Einziehung beabsichtigt? Ist die Einziehungsentscheidung ohne einen solchen vorherigen Hinweis rechtswidrig und in der Revision aufzuheben?

    Der Große Strafsenat des Bundesgerichtshofs entschied am 22.10.2020, Az. GSSt 1/20 – im Einklang mit dem 1. Strafsenat und entgegen dem 5. Strafsenat -, dass dieser Hinweis erforderlich ist. Hintergrund ist § 265 der Strafprozessordnung (StPO). Dessen Sinn und Zweck ist es, den Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen zu bewahren und eine sachgerechte Verteidigung zu ermöglichen.

    Praxis-Tipp

    Wird die Einziehung weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss erwähnt und erteilt das Gericht auch keinen Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO, dann wird eine dennoch angeordnete Einziehung in der Revision aufgehoben.
  • Online-Pokergewinne steuerpflichtig?

    Nach einer Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 10.03.2021, Az. 11 K 3030/15 E, G, können Gewinne aus Online-Pokerspielen steuerpflichtig sein. Zumindest, wenn es sich – wie im konkreten Fall („Texas Hold’em“) – um ein Geschicklichkeitsspiel und nicht um ein Glücksspiel handelt.

    Hiergegen wurde Revision zum BFH eingelegt (Az. X R 8/21)

  • Scheinverträge zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht – Auch ein steuer(straf)rechtliches Problem

    In einem Musterverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg, 25.10.2021, Az. L 8 BA 3118/20 ging es um Scheinverträge, die ein „führender Hersteller von Betonprodukten“ mit rumänischen Staatsangehörigen abgeschlossen hatte, um – so das Landessozialgericht – die Sozialversicherungspflicht zu umgehen. Die Rumänen wurden als Selbstständige behandelt, was sie aber offensichtlich nicht waren. Da half es auch nicht, dass Gesellschaftsverträge (GbR-Verträge) aufgesetzt wurden, um der Sache einen seriösen Anschein zu geben.

    „Verkürzung“ von Sozialversicherungsbeiträgen

    Solche „Gestaltungen“ ziehen in der Praxis erhebliche Probleme nach sich. Zunächst ist an die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen zu denken, parallel auch an eine mögliche Strafbarkeit nach § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Sozialversicherungsbeiträgen) – der Betonhersteller dürfte Arbeitgeber und die rumänischen „GbR-Gesellschafter“ dürften in Wahrheit Arbeitnehmer sein.

    In der Praxis ist dabei zu beachten, dass die Rechtsprechung den Beginn der Verjährungsfrist neu justiert hat.

    Lohnsteuer

    Wenn der Betonhersteller Arbeitgeber ist, dann hätte er auch Lohnsteuer abführen müssen. Daher wird sich auch das Finanzamt brennend für den Fall interessieren: Die Nachforderung von Lohnsteuer bzw. eine Haftung des Arbeitgebers für nicht abgeführte Lohnsteuer dürfte anstehen. Und hier kommt das Steuerstrafrecht inst Spiel: Durch die pflichtwidrige Nichtabgabe von Lohnsteueranmeldungen wurde im Regelfall Lohnsteuer hinterzogen (§ 370 AO).

    Umsatzsteuer

    Zudem besteht ggf. noch ein umsatzsteuerrechtliches Problem: Wenn die GbRs (Schein-)Rechnungen an den Betonhersteller geschrieben und darin Umsatzsteuer ausgewiesen haben, dann wird die darin ausgewiesene Umsatzsteuer geschuldet, solange die Rechnungen nicht korrigiert wurden. Trotzdem darf der Rechnungsempfänger (Betonhersteller) die in den (Schein-)Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen. Dann wird Umsatzsteuer nachgefordert und ggf. steht auch die Hinterziehung von Umsatzsteuer im Raum.

  • Fußball, Kirchensteuer und Strafrecht

    Irgendwann bei der Vorbereitung meiner Vortragstätigkeit stieß ich auf eine interessante zivilrechtliche Entscheidung des OLG München vom 23.12.2015, 15 U 2063/14 („Luca Toni“). Diese betrifft zwar vordergründig nur den Fall der Steuerberaterhaftung aufgrund der Verletzung von Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit Kirchensteuern. Der Fall lässt sich aber auch (steuer-)strafrechtlich „weiterspinnen.“

    Sachverhalt

    Ein italienischer Profi-Fußballer, römisch-katholisch, Wohnsitz in Bayern, heuerte für zwei Jahre bei einem bekannten süddeutschen Bundesliga-Fußballclub an. Der Spielervertrag sah eine Nettovergütung vor, d. h. der Fußballclub trug alle auf die Spielervergütung anfallenden Steuern. Der Fußballer wurde vom Fußballclub – wahrheitswidrig – als konfessionslos angemeldet. Der Fußballclub meldete sodann Lohnsteuer, aber keine Kirchenlohnsteuer an. Später wurde Kirchensteuer nachgefordert (ca. 1,5 Mio € zzgl. Säumniszuschläge).

    Im Aufhebungsvertrag zum Spielervertrag war eine Abgeltungsklausel vereinbart, so dass der Fußballer keinen Anspruch mehr gegen den Fußballclub auf Zahlung der Kirchensteuer hatte. Daher nahm der Fußballer seinen (ehemaligen) Steuerberater in Anspruch. Der Steuerberater hatte ihn trotz Kenntnis aller Umstände nicht über die anfallende Kirchensteuer und die Tatsache informiert, dass der Fußballclub keine Kirchenlohnsteuer angemeldet und abgeführt hatte.

    Entscheidung

    Die Klage des Fußballers hatte zu einem großen Teil Erfolg, der Steuerberater haftete im vorliegenden Fall aufgrund schuldhafter Pflichtverletzung aus dem Steuerberatungsvertrag. Das OLG München war „anhand des unstreitigen äußeren Sachverhalts … davon überzeugt“, dass der Fußballclub das Meldeformular des Fußballers wahrheitswidrig mit „konfessionslos“ ausgefüllt hatte. Zweck „der falschen Eintragung“ sei die „Nichtabführung von Steuern“ (Kirchenlohnsteuer) durch den Fußballclub gewesen.

    (Steuer-)Strafrechtliche Relevanz

    Strafrechtlich relevant ist die unterlassene Anmeldung der Kirchenlohnsteuer durch den Fußballclub. Da die Kirchensteuer aber kein Hinterziehungsobjekt i. S. v. § 370 AO ist, kommt zumindest Steuerhinterziehung nicht in Betracht (BGH, 25.03.2021, 1 StR 242/20). Denkbar ist aber Betrug durch die Verantwortlichen des Fußballclubs. Ob die Verkürzung von Kirchensteuern als Betrug (§ 263 StGB) strafbar ist, hat der BGH bisher offen gelassen bzw. nicht entschieden.

  • Verkürzung von Kirchensteuer ist keine Steuerhinterziehung

    Erneut entschied der BGH (25.03.2021, 1 StR 242/20), dass die Verkürzung von Kirchensteuer keine Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 AO darstellt. Ob stattdessen eine Strafbarkeit wegen Betrugs (§ 263 StGB) in Betracht kommt, ließ der BGH weiterhin offen (so auch schon BGH, 17.04.2008, 5 StR 547/07).

  • Akteneinsicht beim Finanzamt aufgrund DSGVO und EU-Grundrechte-Charta

    Kein Akteneinsichtsrecht aus der AO

    Aus der Abgabenordnung (AO) ergibt sich kein Anspruch auf Akteneinsicht im Besteuerungsverfahren. In allen anderen Verfahrensordnungen ist ein Akteneinsichsrecht selbstverständlich, nur im Besteuerungsverfahren nicht. Grundsätzlich hat der Steuerpflichtige nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Akteneinsichtsantrag. Immerhin besteht im Einspruchsverfahren gemäß § 364 AO ein Anspruch auf Offenlegung der Besteuerungsunterlagen.

    DSGVO

    Spätestens seit 2019 kommt Bewegung in die Sache. Das Finanzgericht des Saarlandes (03.04.2019, 2 K 1002/16) und das Sächsische Finanzgericht (08.05.2019, 5 K 337/19) entschieden, dass sich aus Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht im Besteuerungsverfahren ergebe. Beide Entscheidungen betrafen zwar Betriebsprüfungs-Fälle, sie lassen sich jedoch allgemein auf das Besteuerungsverfahren übertragen.

    Dem gegenüber meint das Niedersächsische Finanzgericht (28.01.2020, 12 K 213/19), die DSGVO sei im Bereich des Steuerrechts nur auf die sog. harmonisierten Steuern – insbesondere die Umsatzsteuer – anwendbar, nicht dagegen beispielsweise bei der Einkommensteuer.

    EU-Grundrechte-Charta

    Zudem entschied der EuGH (16.10.2019, C-189/18), dass sich aus dem in Art. 47 der EU-Grundrechte-Charta geregelten Grundsatz des fairen Verfahrens ein Akteneinsichtsrecht gegenüber dem Finanzamt ergebe. Im Streitfall wurde einem Unternehmer der Vorsteuerabzug versagt, weil sein Lieferant in ein „Mehrwertsteuer-Betrugssystem“ eingebunden gewesen sei. Der Unternehmer begehrte Akteneinsicht in die Steuerakten des Lieferanten, um sich hiergegen verteidigen zu können. Die Akteneinsicht wurde ihm zu Unrecht versagt, so der EuGH. Diese Entscheidung wird man über die harmonisierten Steuern (z. B. Umsatzsteuer) hinaus aber nicht anwenden können.

  • Steuerhinterziehung: Tatvollendung bei unrichtigen Umsatzsteuer(vor)anmeldungen

    Ein „Dauerbrenner“ der letzten Jahre: Relativ häufig hebt der BGH Verurteilungen wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer (durch Abgabe unrichtiger Umsatzsteuer-Anmeldungen) auf, weil die Urteilsfeststellungen des jeweiligen Landgerichts zur Tatvollendung fehlerhaft bzw. unvollständig sind. In einer Entscheidung vom 25.01.2018, 1StR 264/17, verwies der BGH erstmals auf seine „st. Rspr.“ (ständige Rechtsprechung). Eine Entscheidung vom 20.09.2018, 1 StR 512/17, reiht sich in diese Rechtsprechung ein.

    BGH, 20.09.2018, 1 StR 512/17 (vereinfacht)

    Der Angeklagte hatte in seinen Umsatzsteuer-Voranmeldungen wahrheitswidrig nicht steuerbare Auslandsumsätze erklärt. Tatsächlich handelte es sich dabei um steuerbare und steuerpflichtige Inlandsumsätze, was der Angeklagte auch wusste. Das Landgericht hatte ihn deshalb u. a. wegen vollendeter Umsatzsteuer-Hinterziehung in mehreren Fällen verurteilt.

    Der BGH hob die Verurteilung teilweise auf und verwies die Sache zurück. Die Verurteilung hielt teilweise „rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die vom Landgericht insoweit getroffenen Feststellungen keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Beantwortung der Frage enthalten, ob Tatvollendung eingetreten ist.“

    Steuerhinterziehung ist ein Erfolgsdelikt. Der Taterfolg (= Folge der Tat) besteht gemäß § 370 Abs. 1 AO entweder in einer Steuerverkürzung („Steuern verkürzt“) oder in einer Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile. Mit Eintritt der Steuerverkürzung oder mit Erlangung der Steuervorteile ist die Steuerhinterziehung vollendet.

    Der Eintritt der Steuerverkürzung bei der Steuerhinterziehung entscheidet damit über die Einordnung als (noch) versuchte oder (schon) vollendete Tat. Beim Versuch ist ein strafbefreiender Rücktritt möglich (§§ 369 Abs. 2 AO, 24 StGB) und der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§§ 369 Abs. 2 AO, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB). Der Zeitpunkt der Tatvollendung muss daher genau bestimmt werden.

    Bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Abgabe unrichtiger Steuererklärungen (Voranmeldungen oder Jahresanmeldungen) hängt die Tatvollendung davon ab, ob die unrichtigen Steueranmeldungen zu einer Zahllast oder zu einer Steuervergütung geführt haben. Zwar steht eine Steueranmeldung gemäß § 168 S. 1 AO einer Steuerfestsetzung gleich. Das gilt aber nur für den „Zahllast-Fall.“ Führt die Steueranmeldung zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder zu einer Steuervergütung, so steht die Steueranmeldung erst dann einer Steuerfestsetzung gleich, wenn die Finanzbehörde der Steueranmeldung zustimmt (§ 168 S. 2 und 3 AO).

    Das Tatgericht muss daher Feststellungen dazu treffen, ob die jeweilige Steueranmeldung eine Zahllast oder eine Steuervergütung zum Inhalt hatte und – im Fall einer Steuervergütung – ob und wann die Finanzbehörde der Steueranmeldung zugestimmt hat. Im konkreten Fall fehlten diese Feststellungen.

    Praxis-Tipp

    Die Frage, ob eine Zustimmung des Finanzamtes erforderlich war und eine solche Zustimmung vorliegt (§ 168 S. 2, S. 3 AO), hat erhebliche praktische Relevanz. Sie entscheidet darüber, ob die fragliche Tat schon vollendet oder noch im Versuch „stecken geblieben“ ist. Das wird in der Praxis immer wieder übersehen. Fehler bei den Urteilsfeststellungen führen in der Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung.

  • Steuerstrafverfahren gegen Rechtsanwalt: Erst Freiheitsstrafe, dann Geldstrafe und schließlich Aufhebung in der Revision

    Mein Mandant, ein Rechtsanwalt, wurde wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen vom Amtsgericht Chemnitz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Amtsgericht stützte sich dabei im Wesentlichen auf Zeugenaussagen eines Beamten der Steuerfahndung.

    Auf meine Berufung hielt das Landgericht Chemnitz den Schuldspruch aufrecht, „wandelte“ die Freiheitsstrafe aber in eine Geldstrafe von 300 Tagessätzen um. Wiederum waren Zeugenaussagen des (gleichen) Steuerfahndungsbeamten wesentlich für die Verurteilung.

    Nunmehr hob das OLG Dresden mit Beschluss vom 05.03.2019 (Az. 2 OLG 13 Ss 819/18) auf meine Revision das Urteil des Landgerichts Chemnitz auf und verwies die Sache an eine andere Kammer zurück. Meine Sachrüge hatte Erfolg. Darin hatte ich u. a. fehlerhafte bzw. unvollständige Urteilsfeststellungen gerügt. Das OLG sah das auch so. Es fehle insbesondere „an einer erschöpfenden Würdigung der erhobenen Beweise“, so das OLG.