Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Category: Verfahrens-/Prozessrecht

  • Befangene Staatsanwältin aufgrund Vorbefassung in der BuStra

    In Steuerstrafsachen kein seltendes Phänomen: Zwischen der BuStra (andernorts: StraBu) bzw. Steufa, der Staatsanwaltschaft sowie der Straf- und Finanzgerichtsbarkeit dreht sich das Personalkarussell. Die Sachgebietsleiterin der BuStra wird Jahre später Staatsanwältin und wechselt wiederum Jahre später vielleicht ans Amtsgericht und verhandelt dort Steuerstraf- und sonstige Wirtschaftsstrafsachen.

    Da sich Steuerstrafverfahren oft über Jahr hinziehen, erlebt man als Verteidiger sein Gegenüber manchmal in verschiedenen Positionen.

    Erst BuStra-Sachgebietsleiterin, dann Staatsanwältin

    Im konkreten Fall übernahm eine bestimmte Staatsanwältin die Sachbearbeitung und Sitzungsvertretung in einer Steuerstrafsache (Berufungsverfahren im zweiten Rechtsgang, nachdem das OLG auf meine Revision das erste Berufungsurteil aufgehoben und zurückverwiesen hatte). Besonderheit war, dass diese Staatsanwältin zuvor als Sachgebietsleiterin bei der BuStra bereits das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten geführt hatte.

    Erstinstanzlich vor dem Amtsgericht und auch in der ersten Berufungshauptverhandlung war sie noch als Vertreterin der Finanzbehörde (BuStra) anwesend. Hinzu kam, dass die (jetzige) Staatsanwältin in ihrer Eigenschaft als BuStra-Sachgebietsleiterin in der ersten Berufungshauptverhandlung auch als Zeugin vernommen wurde.

    Entbindungsantrag erfolgreich

    Daher beantragte ich, die Staatsanwältin gemäß § 145 Abs. 1 GVG sowohl von der beabsichtigten Sitzungsvertretung als auch von der Sachbearbeitung insgesamt zu entbinden. Ich machte geltend, dass es mit dem Gebot eines rechtsstaatlichen und fairen Verfahrens unvereinbar sei, wenn ein Staatsanwalt im gleichen Verfahren mitwirkt, in dem er zuvor als Polizeibeamter tätig oder sonst vorbefasst war. Das sei auf den vorliegenden Fall übertragbar.

    Mithin würden Gründe vorliegen, die bei einem Richter zur Ausschließung kraft Gesetzes (§ 22 Nrn. 4 und 5 StPO) führen würden. Daher sei die Staatsanwältin von ihrer Mitwirkung im Verfahren zu entbinden und durch eine/n andere/n Staatsanwältin/Staatsanwalt zu ersetzen, damit die Grundsätze des fairen Verfahrens nicht verletzt würden.

    Die Behördenleitung entsprach meinem Antrag und eine andere Staatsanwältin übernahm sowohl die Sachbearbeitung als auch die Sitzungsvertretung.

    Praxis-Tipp

    Zwar gelten §§ 22ff. StPO nicht direkt und nach der Rechtsprechung auch nicht analog für Staatsanwälte. Gleichwohl gibt es Fälle – wie diesen – , in denen es mit dem Gebot eines rechtsstaatlichen und fairen Verfahrens unvereinbar ist, wenn ein vorbefasster Staatsanwalt am (Steuer-)Strafverfahren mitwirkt.

    Vgl. dazu auch BGH, 18.01.2024, 5 StR 473/23: Eine Staatsanwältin hielt sich selbst für befangen und hätte sich deshalb selbst vom Dienstvorgesetzten ersetzen lassen müssen. Der BGH attestierte der Staatsanwältin insoweit ein Fehlverhalten. Für einen Verfahrensfehler, der die Revision begründet hätte, reichte dies aber nicht aus.
  • Schriftsatz eines Steuerberaters ans Finanzgericht per Fax ist unwirksam

    Seit dem 01.01.2023 müssen Steuerberater das besondere elektronische Steuerberaterpostfach („beSt“) verwenden, wenn sie Schriftsätze (z. B. Klageschrift oder Klagebegründung) beim Finanzgericht einreichen. Einreichung per „normaler“ Post oder per Fax ist unzulässig.

    Es komme auch nicht darauf an, ob sich der Steuerberater schon angemeldet oder ob er den Registrierungsbrief erhalten habe.

    FG Niedersachsen, 20.03.2023, 7 K 183/22 (Revision zugelassen)

    Rechtsanwälte sind seit 01.01.2022 verpflichtet, bei Gericht Schriftsätze nur noch per „beA“ einzureichen.

  • Zitat der Woche: Zahlungsverjährung gehört nicht in Abrechnungsbescheid?

    Ein sächsisches Finanzamt schreibt mir:

    „Hinsichtlich der Zahlungsverjährung kann durch einen Abrechnungsbescheid keine Entscheidung getroffen werden.“

    Das ist Unfug. Die Streitfrage, ob ein Steueranspruch zahlungsverjährt ist oder nicht, ist ein typischer Anwendungsfall für einen Abrechnungsbescheid im Sinne von § 218 Abs. 2 AO. Ein Abrechnungsbescheid entscheidet darüber, ob eine bestimmte Zahlungsverpflichtung erloschen ist (§ 47 AO), d. h. ob wirksam gezahlt, aufgerechnet, verrechnet, erlassen, ob Verjährung eingetreten, die Schuld bereits vor der Begründung der Zahlungspflicht erloschen oder der Forderungsausgleich durch Vollstreckungsmaßnahmen erreicht worden ist (BFH, 13.01.2000, VII R 91/98; Rüsken in Klein, AO, § 218 Rn. 12, § 232 Rn. 5).

    Hintergrund des zitierten Finanzamt-Schreibens ist ein Streit darüber, ob Steueransprüche des Finanzamtes gegen meinen Mandanten durch Verjährung erloschen sind. Immerhin geht es im konkreten Fall um Lohnsteuer und Umsatzsteuer der Jahre 2005 und 2006. Da kommt durchaus Zahlungsverjährung in Betracht.

    Praxis-Tipp

    Steueransprüche erlöschen – unter anderem – durch Verjährung (Festsetzungs- oder Zahlungsverjährung. Das ist ein Besonderheit des Steuerrechts. Normalerweise gehen verjährte Forderungen nicht unter, sondern sind nur nicht mehr durchsetzbar, wenn sich jemand auf Verjährung beruft.

  • Finanzgerichtsverfahren: Klagerücknahme kann sinnvoll sein

    Manchmal ergibt sich erst nach Akteneinsicht beim Finanzgericht, dass eine Klage voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben wird. In einem solchen Fall sollte man nicht unbedingt die Entscheidung des Gerichts „aussitzen.“ Stattdessen kann es empfehlenswert sein, die Klage zurück zu nehmen.

    ► Praxis-Tipp

    Im Fall der Klagerücknahme trägt man als Kläger zwar die Gerichtskosten. Allerdings reduzieren sich diese Kosten auf die Hälfte.

     

  • BMF-Schreiben: „Steuerliche Maßnahmen zur Berücksichtigung der Auswirkungen des Coronavirus“

    Das Bundesministerium der Finanzen hat vor dem Hintergrund der „Corona-Pandemie“ am 19.03.2020 ein Schreiben erlassen, wonach den wirtschaftlich „Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen zur Vermeidung unbilliger Härten entgegenzukommen“ ist.

    Solche Maßnahmen sind insbesondere:

    • großzügiger Umgang mit Stundungsanträgen, wobei auf Stundungszinsen i. d. R. verzichtet werden kann
    • großzügiger Umgang mit Anträgen auf Anpassung der Einkommensteuer- und Körperschaftsteuervorauszahlungen
    • Absehen von Vollstreckungsmaßnahmen bis zum 31.12.2020
  • Seminar zum Steuerverfahrens- und Steuerstrafrecht

    Am 21.09.2018 nahm ich am 13. Leipziger Steuerfachtag mit folgenden Seminarinhalten teil:

    • Aktuelles Verfahrensrecht – ausgewählte Probleme des Korrekturverfahrens
    • Die digitale Betriebsprüfung
    • Aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Steuerstrafrecht
  • Finanzamt streicht zu Unrecht Renovierungskosten bei Wohnungsvermietung

    Ein Mandant erbte ein Wohnhaus, das er an fremde Dritte vermietet. Renovierungskosten für das Wohnhaus erkannte das Finanzamt vorläufig nicht an, weil das Vorliegen der erforderlichen Einkunftserzielungsabsicht derzeit unklar sei. Der Einkommensteuerbescheid bekam deshalb einen so genannten Vorläufigkeitsvermerk. Das Finanzamt will erst das Jahr 2018 abwarten um zu sehen, ob tatsächlich ein Überschuss erzielt werde.

    Aus meiner Sicht zu Unrecht. Der Bundesfinanzhof vertritt in ständiger Rechtsprechung (dazu Kulosa in Schmidt, EStG, § 21 Rn. 25 u. 27. m. w. N.), dass bei einer auf Dauer angelegten Vermietung zu Wohnzwecken die Einkunftserzielungsabsicht unwiderleglich vermutet wird. Demnach hat das Finanzamt ohne weitere Prüfung von der Einkunftserzielungsabsicht auszugehen. Dieser Rechtsprechung hat sich die Finanzverwaltung in einem BMF-Schreiben aus 2004 auch angeschlossen. Ein atypischer Fall, für den die Vermutung nicht gilt, liegt nicht vor.

    Der Mandant hatte Einspruch eingelegt und das Finanzamt forderte ihn zur Rücknahme auf. Ich empfahl, den Einspruch nicht zurück zu nehmen, sondern das Einspruchsverfahren weiter zu führen.

  • Splittingtarif für gleichgeschlechtliche Ehegatten rückwirkend ab 2001

    Das Finanzgericht Hamburg entschied mit Urteil vom 31.07.2018, Az. 1 K 92/18, dass (gleichgeschlechtliche) Ehegatten, die ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umgewandelt haben, die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer („Splittingtarif“) auch für bereits bestandskräftig einzelveranlagte Jahre verlangen können (im Streitfall: ab dem Jahr 2001!). Die Umwandlung einer Lebenspartnerschaft nach § 20a LPartG in eine Ehe sei – so das Finanzgericht – ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO. Das Finanzgericht ließ die Revision zum Bundesfinanzhof zu.

  • Vollmachtsvorlage durch Verteidiger nicht erforderlich

    Hin und wieder bestellt man sich als Verteidiger – so kürzlich in einem berufsrechtlichen Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft gegen einen Steuerberater -, beantragt Akteneinsicht und bekommt postwendend einen Textbaustein mit der Aufforderung zurück, zunächst eine Vollmacht vorzulegen.

    Das ist unzulässig. Nach allgemeiner Ansicht ist die Beauftragung eines Wahlverteidigers formfrei möglich. Bei einem Verteidiger, der sich als solcher anzeigt und eine Prozesshandlung für den Beschuldigten vornimmt, spricht eine Vermutung für seine Bevollmächtigung. Für den Nachweis der Beauftragung genügt die Anzeige des Verteidigers. Das gilt erst Recht im vorliegenden Fall, da ich den Steuerberater bereits im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren und im gerichtlichen Strafverfahren erster und zweiter Instanz verteidigt hatte.

    Insbesondere darf auch die Gewährung der Akteneinsicht nicht von der Vorlage einer Vollmachtsurkunde abhängig gemacht werden. Die Vorlage einer Vollmachtsurkunde kann nur dann verlangt werden, wenn im Einzelfall Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen. Solche Zweifel konnte ich dem „Textbaustein“ jedoch nicht entnehmen.

    In diesem Fall wollte ich allerdings keine zusätzliche „Baustelle aufmachen“ und habe die Vollmacht übersandt.

    (s. dazu Schmitt in Meyer-Goßner, StPO, Vor § 137 Rn. 9 m. w. N. und BVerfG v. 14.09.2011, 2 BvR 449/11)

  • Betriebsprüfung: Einspruch gegen Auskunfts- und Vorlageverlangen unzulässig

    Alltag während einer Betriebsprüfung: Der Prüfer fordert den Steuerpflichtigen oder dessen Steuerberater auf, Auskünfte zu geben oder bestimmte Unterlagen vorzulegen, z. B. Verträge und Rechnungen. Ist man mit einem solchen Auskunfts- und Vorlageverlangen nicht einverstanden, stellt sich die Frage, ob man dagegen Einspruch einlegen (und Aussetzung der Vollziehung beantragen) kann.

    Auskunfts- und Vorlageverlangen des Prüfers kein Verwaltungsakt

    Ein Einspruch ist nur statthaft „gegen Verwaltungsakte“ (§§ 347 Abs. 1, 118 AO). Das FG Düsseldorf entschied nun durch Urteil vom 04.04.2017, Az. 6 K 1128/15 AO, dass Auskunfts- und Vorlageverlangen des Betriebsprüfers grundsätzlich keine verbindliche „Regelungen“ i. S. v. § 118 AO seien. Der Verwaltungsakt-Begriff sei damit nicht erfüllt. Vielmehr handele es sich im Regelfall um nicht selbständig anfechtbare Vorbereitungshandlungen, welche von der Prüfungsanordnung gedeckt seien.

    Fazit

    Einspruch und (Anfechtungs-)Klage gegen ein Auskunfts- und Vorlageverlangen des Betriebsprüfers sind nach Auffassung des FG Düsseldorf grundsätzlich nicht statthaft und damit unzulässig. Auch ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wäre nicht statthaft. Die Rechtswidrigkeit der Prüfungshandlung kann erst in dem auf die Betriebsprüfung folgenden Veranlagungsverfahren (oder Einspruchsverfahren) geltend gemacht werden.

    Allerdings sollte auch schon während der laufenden Betriebsprüfung bedacht werden, ob man nicht durch Kontaktaufnahme mit dem Prüfer bzw. seinem Sachgebietsleiter oder notfalls durch außerordentliche Rechtsbehelfe (Gegenvorstellung, Aufsichtsbeschwerde) eine Korrektur des für rechtswidrig gehaltenen Auskunfts- und Vorlageverlangens erreichen kann.

    Update (11.02.2025)

    Die Entscheidung des FG Düsseldorf wurde vom Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 11.12.2018, Az. XI B 123/17, aufgehoben und zurückverwiesen. Der BFH ließ offen, wie die Vorlage- und Auskunftsverlangen ursprünglich rechtlich einzuordnen waren, wobei im Umfeld von Außenprüfungen die Grenze zwischen reinen Hilfs- und Vorbereitungsmaßnahmen ohne Regelungscharakter und Verwaltungsakten nicht immer eindeutig zu ziehen sei.

    Im vorliegenden Fall habe das Finanzamt mit der Einspruchsentscheidung den betreffenden Vorlage- und Auskunftsverlangen jedenfalls die Gestalt eines Verwaltungsakts gegeben, indem es die entsprechenden Einsprüche nicht als unzulässig verworfen, sondern als unbegründet zurückgewiesen hat.

  • Betriebsprüfung: Anspruch auf Überlassung (elektronischer) Kalkulationsunterlagen

    Das FA ist grundsätzlich verpflichtet, vom Betriebsprüfer vorgenommene Kalkulationen in elektronischer Form – z. B. eine Excel-Datei – (und nicht nur in Papierform) vorzulegen, damit der Steuerpflichtige sie überprüfen kann. Das entschied der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 25.07.2016 (Az. X B 213/15 und X B 4/16).

    Diese Frage bedürfe keiner höchstrichterlichen Klärung mehr, so dass die Revision nicht zugelassen wurde. Zur Begründung verwies der BFH u. a. auf seine Entscheidung zum Zeitreihenvergleich, wonach auch die spezifischen „Daten“, auf denen der Zeitreihenvergleich basiere, offengelegt werden müssen (BFH, Urteil vom 25.03.2015, X R 20/13).

  • Falscher Adressat: Finanzamt muss Umsatzsteuerbescheide für nichtig erklären

    Umsatzsteuerbescheide für eine (zweigliedrige) GbR

    Mein Mandant erhielt Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2007-2009, die eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) betrafen, an der mein Mandant in diesen Jahren neben einem weiteren Gesellschafter beteiligt war. Die Umsatzsteuerbescheide waren an meinen Mandanten mit dem Zusatz „Für Sozietät … & …“ adressiert.

    Die GbR bestand aus zwei Gesellschaftern („zweigliedrige GbR“). Mein Mandant schied durch Kündigung zum 31.12.2009 aus der GbR aus. Nach dem Sozietätsvertrag geht in diesem Fall „das Vermögen der Gesellschaft … ohne Liquidation mit Aktiva und Passiva auf die verbleibenden Sozien über“, hier auf den letzten Gesellschafter.

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