Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Category: Referenzfälle

  • Begünstigung durch unzulässige Rückstellungen? Steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Steuerberater eingestellt

    Gegen meinen Mandanten (Steuerberater) wurde ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Vorwurf: In einer Betriebsprüfung soll der Steuerberater zugunsten seines eigenen Mandanten falsche Angaben gegenüber dem Finanzamt gemacht haben, um dem Mandanten Steuervorteile aus dessen Steuerhinterziehung zu sichern. Strafbar als Begünstigung gemäß § 257 StGB (gemäß § 369 Abs. 1 Nr. 4 AO insoweit eine Steuerstraftat). Es ging dabei um Rückstellungen, die nach Auffassung des Betriebsprüfers zu Unrecht gebildet wurden.

    Ich verteidigte den Steuerberater im Ermittlungsverfahren. Im Ergebnis wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdacht eingestellt.

  • Mindestlohnunterschreitung in der Fleischbranche: Strafverfahren mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt

    Nach einer sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung wurde einem Mandanten, Geschäftsführer einer in der Fleischbranche tätigen GmbH, vorgeworfen, er habe den laut Tarifvertrag für die Fleischwirtschaft festgelegten Mindestlohn bei der Lohnzahlung unterschritten. Mein Mandant habe sich daher gemäß § 266a Abs. 1, Abs. 2 StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) strafbar gemacht. Das Hauptzollamt eröffnete ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren und gab die Sache an die Staatsanwaltschaft ab.

    Kein Vorsatz

    Im Ermittlungsverfahren trug ich vor, dass meinem Mandanten zum jeweiligen Tatzeitpunkt nicht bewusst gewesen sei, dass es für die Fleischwirtschaft einen Tarifvertrag gab und dass dieser durch Verordnung vom 30.07.2014 für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Dafür würden mehrere Indizien sprechen.

    Sozialversicherungsrechtlich möge dies ohne Relevanz sein. § 266a StGB setze jedoch vorsätzliches Handeln voraus (§ 15 StGB) und daran fehle es hier. Mein Mandant habe vielmehr einem Tatumstandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Beiträge … vorenthält“ im Sinne von § 266a Abs. 1, Abs. 2 StGB unterlegen. Wer nicht wisse, dass aufgrund eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags tatsächlich höhere Sozialversicherungsbeiträge geschuldet sind, der habe auch subjektiv keine Vorstellung davon, dass er „Beiträge … vorenthält“.

    Einstellung mangels hinreichendem Tatverdacht, aber OWi-Verfahren

    Ein hinreichender Tatverdacht liege somit nicht vor. Ich regte daher an, das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichendem Tatverdacht einzustellen. Dem kam die Staatsanwaltschaft auch nach.

    Allerdings wurde aufgrund der Mindestlohnunterschreitung nunmehr ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen meinen Mandanten eingeleitet (Verdacht des Verstoßes gegen § 23 Abs. 1 AEntG), das noch nicht abgeschlossen ist.

  • Bundesverfassungsgericht: Rechtsbehelf gegen Durchsuchungsanordnung gemäß § 287 AO muss möglich sein

    An dieser Stelle berichte ich von einem Fall aus meiner Praxis, in dem meinem Mandanten vom Landgericht Leipzig jeglicher Rechtsschutz gegen eine vom Finanzamt vorgenommene Wohnungsdurchsuchung verweigert wurde. Erst eine Lektion des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung und Auslegung der Grundrechte führte dazu, dass das Verfahren jetzt neu aufgerollt wird.

    Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts

    Das Finanzamt beantragte gemäß § 287 Abs. 4 AO beim Amtsgericht Leipzig eine Wohnungsdurchsuchung bei meinem Mandanten wegen vollstreckbarer Steuerforderungen. Die Durchsuchung bei meinem Mandanten fand auch statt. Gegen die Durchsuchungsanordnung legte ich für meinen Mandanten Erinnerung, hilfsweise sofortige Beschwerde ein und beantragte festzustellen, dass die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung rechtswidrig gewesen sei. Nach meiner Auffassung war der Antrag des Finanzamtes und darauf basierend die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts formell fehlerhaft. Das Amtsgericht behandelte den Rechtsbehelf als sofortige Beschwerde, half dieser allerdings nicht ab, sondern legte die Sache dem Landgericht Leipzig vor.

    Landgericht Leipzig verwarf sofortige Beschwerde als unzulässig

    Das Landgericht Leipzig gab mir in der Sache sogar Recht, verwarf die sofortige Beschwerde jedoch als unzulässig. Meinem Mandanten stehe gegen die Erteilung der Durchsuchungsanordnung kein Rechtsmittel zu. Diese sei für ihn nicht anfechtbar. § 793 ZPO finde auf die vorbereitende Anordnung keine Anwendung. Nach Beendigung der Zwangsvollstreckung sei auch für die Erinnerung nach § 766 ZPO kein Raum. Es bestehe auch kein Rechtsschutzbedürfnis für die Überprüfung der Durchsuchungsanordnung.

    Verfassungsbeschwerde erfolgreich

    Gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig legte ich für meinen Mandanten Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ein. Die Verfassungs-beschwerde hatte Erfolg (BVerfG, Beschluss vom 16.07.2015, Az. 1 BvR 625/15). Der Beschluss des Landgerichts Leipzig verletze meinen Mandanten in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Ein Rechtsschutzinteresse sei

    „… in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden – wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden – Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht geht dementsprechend in solchen Fällen bei der Verfassungsbeschwerde in ständiger Rechtsprechung vom Fortbestand eines Rechtsschutzinteresses aus … Zu der Fallgruppe tief greifender Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet sind, gehört die Wohnungsdurchsuchung aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung …“

    Gemessen daran habe das Landgericht den Anspruch meines Mandanten auf effektiven Rechtsschutz verletzt, indem es die Beschwerde als unzulässig verworfen hat.

    „Dass effektiver Rechtsschutz zumindest in der Form nachträglicher gerichtlicher Kontrolle gegen die Gestattung eines so gravierenden Grundrechtseingriffs, wie ihn die Durchsuchung von Geschäfts- und Wohnräumen darstellt, eröffnet sein muss, ist unabweisbar. … Steht wie im Fall der richterlichen Durchsuchungsanordnung in Streit, welcher von mehreren nach der geltenden Rechtslage in Frage kommenden Rechtsbehelfen statthaft ist, ist dies zunächst eine Frage der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts …

    Das Landgericht hat jedoch die Bedeutung und Tragweite der Rechtsschutzgarantie verkannt, indem es den Bestimmungen über die Erinnerung (§ 766 ZPO) und die sofortige Beschwerde (§ 793 ZPO) mit der Erwägung, weder der eine noch der andere Rechtsbehelf finde auf die Durchsuchungsanordnung als eine die Zwangsvollstreckung vorbereitende Maßnahme Anwendung, eine Deutung gegeben hat, die dem von einer Durchsuchungsanordnung Betroffenen jegliche Rechtschutzmöglichkeit nimmt. … Unabhängig hiervon hat das Landgericht die Garantie effektiven Rechtsschutzes auch dadurch verletzt, dass es dem von der Wohnungsdurchsuchung Betroffenen das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Überprüfung allein deswegen abgesprochen hat, weil die Durchsuchung bereits abgeschlossen war. Auch dies hat das Bundesverfassungsgericht für Wohnungsdurchsuchungen bereits mehrfach für mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes unvereinbar erklärt …“

    Das Bundesverfassungsgericht hob den Beschluss des Landgerichts Leipzig auf und verwies die Sache zur neuen Entscheidung an das Landgericht zurück. Der Freistaat Sachsen hat die Anwaltskosten für das Verfassungsbeschwerde-verfahren zu erstatten.

    „… Das Landgericht wird nun unter Beachtung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes erneut zu entscheiden haben, ob die fristgebundene sofortige Beschwerde oder die unbefristet mögliche Erinnerung gegen die Durchsuchungsanordnung gegeben ist und bei zulässiger Einlegung des Rechtsbehelfs die Anordnung durch das Amtsgericht unter Berücksichtigung des sich aus Art. 13 GG ergebenden materiellen Schutzes in der Sache zu überprüfen haben …“

  • Wirksame Selbstanzeige trotz Steuerdaten-CD

    Ein Mandant erhielt ein Schreiben der Steuerfahndung, in dem er zur Auskunft über seine Geschäftsbeziehungen zu ausländischen Banken aufgefordert wurde. Die Steuerfahndung habe Unterlagen, aus denen sich solche Geschäftsbeziehungen ergäben. Kapitaleinkünfte aus ausländischen Geldanlagen seien jedoch in seinen Steuererklärungen nicht enthalten. Deshalb möge er sich hierzu erklären.

    „Gehalts-Splitting“

    Nicht erklärte Kapitaleinkünfte waren aber das geringste Problem des Mandanten. Vielmehr hatte er jahrelang im Rahmen eines „Gehalts-Splittings“ die Hälfte seines Gehalts auf ein Konto in Österreich überwiesen bekommen und auch ordnungsgemäß versteuert. Die andere Hälfte des Gehalts (ca. 60.000 bis 80.000 € pro Jahr) floss – unversteuert – auf ein Konto in der Schweiz.

    Selbstanzeige

    Nach Beratung entschloss sich mein Mandant, insgesamt „reinen Tisch“ zu machen und alle Einkünfte nachzuerklären. Da die Steuerfahndung die Auskunft ausdrücklich im Rahmen steuerlicher Ermittlungen (§ 208 Abs. 2 Nr. 1 AO; so genannte Vorfeldermittlungen) und noch nicht im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens begehrte, lag insoweit noch kein Sperrgrund für eine Selbstanzeige vor. Eine Tatentdeckung als weiterer Sperrgrund kam unter den konkreten Umständen ebenfalls nicht in Betracht.

    Steuerstrafverfahren

    Nach Einreichung der Selbstanzeige wurde gegen meinen Mandanten ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dem Richtigkeit und Vollständigkeit der Selbstanzeige überprüft wurden. Im Rahmen der Akteneinsicht bekam ich dann auch den Ermittlungsanlass zu Gesicht – einen Datensatz von einer Steuerdaten-CD. Daraus ergab sich zwar Kapitalvermögen meines Mandanten in der Schweiz, allerdings mit einem sehr geringen Kapitalstamm von ca. 300 €. Daher, so die Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) in einem Aktenvermerk, sei

    „nach derzeitiger Sachlage ein begründeter Verdacht einer Steuerstraftat bzw. -ordnungswidrigkeit nicht hinreichend zu bejahen. … Da eine steuerliche bzw. strafrechtliche Relevanz jedoch nicht gänzlich auszuschließen ist, wird der Sachverhalt zu weiteren (Vorfeld-)Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle übersandt.“

    Wie das weitere Verfahren zeigte, hatte man im Amt durchaus den „richtigen Riecher.“

    Straffreiheit

    Da an der Selbstanzeige aber nichts zu beanstanden war und mein Mandant die Steuernachforderungen bezahlte, wurde das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Damit kam mein Mandant straffrei aus der ganzen Sache heraus.

    Praxis-Tipp

    Beim Ankauf von „Steuerdaten-CDs“ (Bankdaten) muss der Steuerpflichtige mit einer Tatentdeckung rechnen, wenn er aus den Medien erfahren hat, dass solche CDs seiner Bank aus dem entsprechenden Land angekauft worden sind (OLG Schleswig, 30.10.2015, 2 Ss 63/15 (71/15)). Dann liegt der „Sperrgrund“ der Tatentdeckung vor und für eine Selbstanzeige ist es zu spät, d. h. sie kann keine strafbefreiende Wirkung mehr haben.

    Unter Umständen kann es aber trotzdem noch sinnvoll sein, auch nach einschlägiger Medienberichterstattung eine Selbstanzeige abzugeben. Das wäre jedenfalls ein erheblicher Schuldminderungsgrund.

  • Gesellschafter-Nachhaftung: Finanzamt hebt Haftungsbescheid auf

    An anderer Stelle berichtete ich über ein Verfahren vor dem Sächsischen Finanzgericht zur Gesellschafter-Nachhaftung bei Beendigung einer zweigliedrigen GbR. Auf Grundlage des Finanzgerichts-Beschlusses hatte ich beim Finanzamt nachgefragt, ob nunmehr beabsichtigt sei, dem Einspruch gegen den Haftungsbescheid abzuhelfen und den Haftungsbescheid aufzuheben. Für den Fall, dass keine Abhilfe beabsichtigt sei, bat ich um zeitnahe Einspruchsentscheidung.

    Heute erhielt ich nun einen Bescheid über die Rücknahme des Haftungsbescheides. Damit ist auch das Hauptsacheverfahren (Einspruchsverfahren) erledigt. Dadurch sparte meine Mandantin letztendlich ca. 100.000 € abzüglich Beraterkosten ein.

    Fazit: Steuerstreit lohnt sich.

  • Steuerstrafverfahren: Amtsgericht Leipzig lehnt Strafbefehlsantrag ab

    Gegen meinen Mandanten wurde ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Tatvorwurf änderte sich im Laufe des Verfahrens zur Beihilfe zum Bankrott. Später beantragte die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Strafbefehls. Das Amtsgericht lehnte den Erlass des Strafbefehls ab – was nicht oft vorkommt – und verpflichtete die Staatskasse, die Verfahrenskosten zu tragen. Mittels mehrerer Verteidigungsschriften hatte ich für die Ablehnung gekämpft.

    Die Staatsanwaltschaft ließ es dabei bewenden und legte kein Rechtsmittel ein. Das kommt ebenfalls nicht so häufig vor. Ich betrieb im Anschluss für meinen Mandanten das Kostenfestsetzungsverfahren. Die gesetzlichen Kosten für die Verteidigung wurden von der Staatskasse erstattet.

  • Haftungsbescheid bei mittäterschaftlicher Steuerhinterziehung

    Haftungsbescheide sind Ermessensentscheidungen. Bevor das Finanzamt einen Haftungsbescheid erlässt, muss es stets prüfen und begründen, ob es den Haftungsschuldner überhaupt in Anspruch nimmt (Entschließungsermessen). Bei mehreren in Betracht kommenden Haftungsschuldnern hat das Finanzamt ein Auswahlermessen.

    Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Ermessensentscheidung jedoch insbesondere im Fall der Haftungsinanspruchnahme wegen Steuerhinterziehung „vorgeprägt“, so dass das Finanzamt die Ermessensausübung nicht besonders begründen muss. Über die Rechtmäßigkeit eines solchen Haftungsbescheides hatte kürzlich das SächsFG zu entscheiden.

    Aktueller Fall

    Das Finanzamt nahm meinen Mandanten durch Haftungsbescheid wegen Steuerhinterziehung (§ 71 AO) in Anspruch. Als Geschäftsführer einer GmbH habe er Scheinrechnungen gegenüber einem Dritten erstellt. Die aufgrund der Scheinrechnungen geschuldete Umsatzsteuer der GmbH sei nicht erklärt und abgeführt worden. Zugleich habe er es dem Dritten ermöglicht, zu Unrecht Vorsteuer zu ziehen. Insoweit liege eine mittäterschaftliche Steuerhinterziehung vor. Den Dritten – der noch dazu sämtliche Vorteile aus der Steuerstraftat erlangte (unberechtigte Vorsteuervergütung) – nahm das Finanzamt allerdings nicht in Anspruch.

    Entscheidung des SächsFG

    Das SächsFG (Urt. v. 19.11.2013, Az. 3 K 73/06, rechtskräftig) hob den Haftungsbescheid wegen fehlerhafter Ermessensausübung auf.

    In der Urteilsbegründung heißt es:

    … Zur Überprüfung der Ermessensbetätigung durch das Gericht bedarf die Ermessensentscheidung grundsätzlich der Begründung. Im Regelfall ist daher eine nicht begründete Ermessensentscheidung fehlerhaft und rechtswidrig. Jedoch vertritt der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat das Ermessen der Finanzbehörde in der Weise vorgeprägt ist, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensausübung nicht bedarf (Urteil des BFH vom 26.09.2012 VIIR 3/11, BFH/NV 2013,337).

    … Der erkennende Senat folgt der Auffassung des BFH für den Fall, dass aus den Akten und Unterlagen – auch für den als Haftungsschuldner Herangezogenen – erkennbar ist, dass die Finanzbehörde alle an der Steuerstraftat Beteiligten in Anspruch genommen hat. Anders verhält es sich jedoch, wenn die Finanzbehörde gar nicht erkennt, dass eine Entschließungs- und Auswahlermessensentscheidung bezogen auf weitere in Betracht kommende Haftungsschuldner von ihr zu treffen war. Eine solche Ermessensentscheidung ist nach Überzeugung des Senats auch dann zu treffen, wenn mehrere Steuerhinterzieher – zumal bei mittäterschaftlicher Tatbegehung – als Haftungsschuldner in Betracht kommen. Es besteht in derartigen Fällen gleichrangigen Haftungsgrundes keine Veranlassung, die Finanzbehörde von ihrer grundsätzlich immer gegebenen Verpflichtung zur Ermessensbetätigung freizustellen. Wird in einem solchen Fall gar kein Ermessen ausgeübt liegt ein Ermessensfehlgebrauch in Form einer sogenannten Ermessensunterschreitung vor (Klein/Gersch, Kommentar zur Abgabenordnung, 11. Auflage, § 5 Rz. 8), der zwingend zur Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides führt.

    … Da der Beklagte offensichtlich davon ausgegangen ist, dass weitere Haftungsschuldner nach § 71 AO nicht heranzuziehen waren, hat er sein insoweit bestehendes Auswahlermessen verkannt und mithin fehlerhaft davon keinen Gebrauch gemacht.

    Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass bei mehreren Haftungsschuldnern nach § 71 AO, die nicht alle in Anspruch genommen werden, das Auswahlermessen prinzipiell einer gesonderten Begründung bedarf. Es müssen für den Haftenden in einem solchen Fall die Gründe erkennbar sein, warum nur er und nicht auch der oder die anderen an der Tat Beteiligten herangezogen werden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass bei einem Haftungstatbestand nach § 71 AO die Gesamtschuldnerschaft (§ 426 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-), die es dem einzelnen Teilnehmer der Tat bei Zahlung der Abgaben ermöglicht, einen Ausgleich von den weiteren Beteiligten zu erhalten, erst durch entsprechende Haftungsbescheide begründet, jedenfalls aber erleichtert wird. …

    Fazit: Auch bei einem Haftungsbescheid wegen Steuerhinterziehung kann sich der Streit um die Frage lohnen, ob das Finanzamt das im zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.