Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Category: Finanzgerichtsprozess

  • Finanzgerichtsverfahren: Rücknahme oder Erledigungserklärung bei Abhilfe des Finanzamtes?

    Nicht selten kommt es vor, dass das Finanzamt im laufenden Finanzgerichtsverfahren abhilft.

    Teilweise Abhilfe des Finanzamtes im AdV-Verfahren

    Aktueller Beispielsfall: Für eine Mandantin beantragte ich beim Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung (AdV) von Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheiden. Nachdem ich den AdV-Antrag begründete, gewährte das Finanzamt von sich aus die AdV der Einkommensteuerbescheide.

    Daraufhin erhielt ich folgende Aufforderung vom Finanzgericht:

    „Teilen Sie bitte mit, ob Sie den Aussetzungsantrag bzgl. der Einkommensteuer … aufrechterhalten oder ggf. zurücknehmen.“

    Antragsrücknahme: Kosten- und Haftungsfalle

    Beides ist eine böse (Kosten-)Falle: Hält man den Antrag vollumfänglich aufrecht, besteht aufgrund der teilweisen Abhilfe des Finanzamtes kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für eine AdV der Einkommensteuerbescheide. Der Antrag wäre insoweit unzulässig und müsste in diesem Punkt kostenpflichtig abgewiesen werden (§ 135 Abs. 1 FGO).

    Erklärt man die Rücknahme des Antrags (bezogen auf die Einkommensteuer), trägt der Antragsteller (= meine Mandantin) gemäß § 136 Abs. 2 FGO zwingend die Kosten des Verfahrens. Eine andere Kostenentscheidung ist nicht möglich.

    Richtigerweise ist hier der Rechtsstreit in der Hauptsache (teilweise, nur bezogen auf die Einkommensteuer) für erledigt zu erklären. In diesem Fall muss das Gericht prüfen, wer den Rechtsstreit voraussichtlich verloren hätte. Diesem sind dann die Kosten aufzuerlegen. Im Fall einer Abhilfe – wie in meinem Beispielsfall – sind grundsätzlich dem Finanzamt die Kosten aufzuerlegen (§ 138 Abs. 1, Abs. 2 FGO).

    Praxis-Tipp

    Vorsicht also vor einer unüberlegten Rücknahme eines AdV-Antrags oder einer Klage, wenn stattdessen eine Erledigungserklärung in Betracht kommt. Anderenfalls schneidet man der Mandantschaft einen Kostenerstattungsanspruch ab.

    Auch bei einer Kostenentscheidung gemäß § 138 Abs. 2 FGO darf berücksichtigt werden, dass Tatsachen oder Beweismittel verspätet vorgetragen wurden (§ 138 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 137 FGO).

    Im geschilderten Fall ist fraglich, ob das Finanzgericht mich bewusst „ins offene Messer laufen lassen“ wollte oder die Aufforderung zur Rücknahme einfach nur „schlampig“ formuliert war.
  • Terminsverlegung bei nicht rechtzeitig erhaltener Klageerwiderung

    Nur in bestimmten Fällen – „aus erheblichen Gründen“, wie es in § 227 Abs. 1 ZPO heißt (§ 155 FGO verweist auf diese Vorschrift) – ist ein Verhandlungstermin vor dem Finanzgericht zu verlegen.

    In einem Beschluss vom 29.07.2021, Az. IX B 56/20, sah der Bundesfinanzhof (BFH) einen solchen erheblichen Grund darin, dass dem Kläger die Klageerwiderung des Finanzamtes nicht rechtzeitig vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung zustellt wurde. Deshab hatte der Kläger Terminsverlegung beantragt. Trotzdem hatte das Finanzgericht (ohne Anwesenheit des Klägers) verhandelt.

    So nicht, meinte der BFH. Durch die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Klägers sei dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Das Finanzgericht habe vielmehr dem Terminsverlegungsantrag stattgeben müssen. Eine Übergabe von Schriftsätzen in der mündlichen Verhandlung sei grundsätzlich nicht ausreichend, selbst wenn der Finanzrichter meint, in der Klageerwiderung stehe nichts neues drin.

    ► Praxis-Tipp

    Vor dem Finanzgericht kann auch bei Ausbleiben eines Beteiligten (z. B. des Klägers) verhandelt und entschieden werden. Voraussetzung ist eine ordnungsgemäße Ladung zur mündlichen Verhandlung (vgl. § 91 Abs. 2 FGO). Versäumnisurteile wie im Zivilprozess gibt es im Finanzgerichtsprozess nicht.

    Ganz gefährlich wird es, wenn man in einem solchen Fall der nicht rechtzeitig übermittelten Klageerwiderung trotzdem zur mündlichen Verhandlung erscheint. Dann muss man (zu Protokoll) die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen. Anderenfalls – so die Rechtsprechung – verzichtet man auf sein Rügerecht, kann die Rüge also später in der Revision nicht mehr vorbringen.

  • Untätigkeitsklage setzt vorherigen Einspruch voraus

    Einspruchsverfahren können mitunter Jahre dauern. Manchmal möchte man das Finanzamt „auf die Jagd tragen“ und zwingen, schneller zu entscheiden. Dafür bietet sich die so genannte Untätigkeitsklage nach § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an. Das ist keine besondere Klage, sondern eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass vor Klageerhebung das Einspruchsverfahren abgeschlossen sein muss. Im Normalfall wird ja erst dann Klage beim Finanzgericht eingereicht, wenn eine Einspruchsentscheidung des Finanzamtes vorliegt.

    Grundsätzlich kann die Untätigkeitsklage auch erst nach Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des Einspruchs erhoben werden.

    Zu beachten ist, dass bei Erhebung der Untätigkeitsklage auch tatsächlich noch ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Wurde beispielsweise versäumt, gegen einen Steuerbescheid rechtzeitig Einspruch einzulegen (und kommt auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht), dann ist auch eine Untätigkeitsklage unzulässig. Das bestätigte der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Urteil vom 23.03.2021, Az. VII R 7/19.

    ► Praxis-Tipp

    Bevor Untätigkeitsklage erhoben wird, muss immer geprüft werden, ob überhaupt Einspruch eingelegt wurde. Das wird – wie die Entscheidung vom 23.03.2021 zeigt – hin und wieder auch von Beratern übersehen.

    Zudem sind grundsätzlich sechs Monate seit Einspruchseinlegung abzuwarten. Daran scheitert aber nicht die Zulässigkeit der Klage. Wurde die Untätigkeitsklage zu früh erhoben, kann die Klage im Laufe des Finanzgerichtsverfahrens noch „in die Zulässigkeit hineinwachsen.“

  • Keine Vertagung einer mündlichen Verhandlung, wenn Hinweis schon vorher erteilt wurde

    Im Klageverfahren vor dem Finanzgericht findet grundsätzlich nur ein Termin zur mündlichen Verhandlung statt und im Normalfall wird die Sache noch am selben Tag entschieden (vgl. § 104 FGO). Die beispielsweise im Zivilprozess üblichen Schriftsatzfristen, innerhalb derer man auch noch nach der mündlichen Verhandlung Argumente vorbringen kann, gibt es im Finanzgerichtsprozess nicht.

    In bestimmten Fällen – „aus erheblichen Gründen“, wie es in § 227 Abs. 1 ZPO heißt (§ 155 FGO verweist auf diese Vorschrift) – ist jedoch eine mündliche Verhandlung zu vertagen. Das betont der Bundesfinanzhof (BFH) in einer aktuellen Entscheidung.

    „Weist das FG in der mündlichen Verhandlung auf rechtliche Überlegungen hin, die angesichts des bisherigen Verfahrensablaufs überraschend sind, muss es den Beteiligten Gelegenheit geben, sich dazu äußern zu können. Ist eine Stellungnahme noch innerhalb der mündlichen Verhandlung nicht möglich, ist zu vertagen, wenn der Beteiligte einen entsprechenden Antrag stellt … Es ist im Rahmen seiner Ermessensentscheidung insbesondere dann zur Vertagung verpflichtet, wenn die Entscheidung nur aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte erfolgen könnte, zu denen den Beteiligten bisher kein rechtliches Gehör gewährt worden war …“

    Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall aber nicht vor, weil der Berichterstatter dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits vor dem Termin einen schriftlichen rechtlichen Hinweis gab und diesen rechtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung lediglich wiederholte. Daher war der rechtliche Hinweis nicht überraschend, vielmehr habe sich der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter darauf einstellen können und müssen.

    BFH, 04.05.2021, VIII B 97/20

  • Keine Akteneinsicht beim Finanzgericht aufgrund „Corona“?

    Ging dem Steuerstreit eine Betriebsprüfung oder – wie im Fall meines Mandanten, eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung – voraus, dann gehören zu den Akten, die das Finanzamt dem Gericht vorlegen muss, auch die Prüferhandakten.

    Prüferhandakten fehlen

    In einem aktuellen Finanzgerichtsverfahren hatte ich Anfang März 2020  – also noch vor den „Corona“-Beschränkungen – Akteneinsicht beim Finanzgericht und dabei festgestellt, dass die Prüferhandakten fehlten, obwohl deren Vorlage beantragt war. Daher rügte ich die Unvollständigkeit der Akten und beantragte, das Finanzamt im Rahmen der Sachaufklärungspflicht aufzufordern, auch die vollständigen Handakten der Umsatzsteuer-Sonderprüfung (Prüferhandakten) vorzulegen bzw. diese beizuziehen, da diese zur sachgerechten Klagebegründung und Prozessführung benötigt würden.

    Keine Akteneinsicht aufgrund „Corona“

    Dem kam das Finanzgericht auch nach: Kürzlich erhielt ich die Mitteilung, dass die Prüferhandakte nunmehr bei Gericht vorliegen würde. Allerdings war die Mitteilung mit dem Hinweis des Berichterstatters verbunden, „mit Blick auf die Gefahrenlage aufgrund der Corona-Pandemie“ seien „nach derzeitigem Stand bis voraussichtlich 17.04.2020 Akteneinsichten beim Finanzgericht nicht möglich.“

    Da es aus heutiger Sicht eher wahrscheinlich ist, dass die Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie über den 17.04.2020 hinaus verlängert werden und ich bis Anfang Mai 2020 die Klage begründen muss, beantragte ich, mir die Prüferhandakte (ausnahmsweise) in meine Kanzlei zu übersenden.

    „Sonderrecht“ bei der Akteneinsicht im Finanzgerichtsverfahren

    Mancher Leser wird sich jetzt fragen, wo dabei das Problem ist. Jedes andere Gericht (Straf-, Verwaltungsgericht) würde die Akten ohne weiteres in die Kanzlei des Bevollmächtigten übersenden.

    In der Finanzgerichtsbarkeit gilt aber ein „Sonderrecht“: Akteneinsicht wird nur gewährt beim Finanzgericht selbst oder in einer anderen öffentlichen Behörde, beispielsweise beim Amtsgericht oder im Finanzamt. Im Wesentlichen sind nur zwei Ausnahmen anerkannt: Erheblicher Aktenumfang (so dass der Bevollmächtigte mehrere Tage zum Aktenstudium bei Gericht zubringen müsste) oder eine körperliche Behinderung des Bevollmächtigten.

    Zum „Einsehen“ oder zum Mitnehmen?

    Die Entscheidung über die Art und Weise der Akteneinsicht ist eine Ermessensentscheidung. Aufgrund des Wortsinns („einsehen“) geht der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung (z. B. BFH, 14.01.2015, V B 146/14 m. w. N.) zu § 78 der Finanzgerichtsordnung (FGO) jedoch davon aus, dass die Einsichtnahme der Akten in der Finanzgerichts-Geschäftsstelle (bzw. bei einem nahe gelegenen Finanzamt oder sonstigen Gericht) der Regelfall und die Übersendung oder Mitgabe der Akten in die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten die besonders zu begründende Ausnahme sei.

    Neuregelung der Akteneinsicht zum 01.01.2018

    Zum 01.01.2018 wurde § 78 FGO neu gefasst. Dabei ist Abs. 3 S. 1 neu eingefügt worden: Bei Papierakten, die auch in den kommenden Jahren noch der Regelfall sein dürften, „… wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme … in Diensträumen gewährt.“ Streitig war nun, ob der Gesetzgeber damit die Übersendung (oder Mitgabe) der Akten an den Prozessbevollmächtigten ein für alle Mal ausgeschlossen habe. Falls das so zu verstehen ist, dann wäre aber auch in früher angenommenen Ausnahmefällen (insb. körperliche Behinderung des Bevollmächtigten oder extremer Aktenumfang) eine Aktenübersendung oder -mitgabe in die Kanzlei des Bevollmächtigten nicht mehr zulässig

    Der BFH (04.07.2019, VIII B 51/19) entschied, dass die Kanzleiräume des Bevollmächtigten jedenfalls keine „Diensträume“ i. S. v. § 78 Abs. 3 S. 1 FGO n. F. sind. Aber auch der Wortsinn von § 78 Abs. 3 FGO n. F. schließe die Mitgabe oder Übersendung der Akten in die Kanzleiräume von Prozessbevollmächtigten nicht ausnahmslos aus. Die Gewährung der Akteneinsicht durch Übersendung in die Kanzleiräume des Prozessbevollmächtigten sei in Ausnahmefällen (erheblicher Aktenumfang, Körperbehinderung) auch weiterhin möglich.

    „Corona“ als neuer Ausnahmefall

    Nach meiner Auffassung sind die Gefahren und Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie ein (neuer) Ausnahmefall, der es gebietet, die Akten in die Kanzleiräume des Prozessbevollmächtigten zu übersenden. Einen Pandemie-Fall als Ausnahme gab es bisher noch nicht, also ist das rechtliches Neuland. Ich bin auf die Reaktion des Finanzgerichts gespannt.

  • Streitwertkatalog für die Finanzgerichtsbarkeit

    Für die Bestimmung des Gegenstands- bzw. Streitwertes eines finanzgerichtlichen Verfahrens ist ein Blick in den Streitwertkatalog für die Finanzgerichtsbarkeit unverzichtbar.