Kompensationsverbot: BGH wirft ständige Rechtsprechung bei Umsatzsteuerhinterziehung über Bord

Der Tatbestand der Steuerhinterziehung setzt eine Steuerverkürzung voraus. Gemäß § 370 Abs. 4 S. 3 AO liegt eine Steuerverkürzung auch dann vor,

„wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt … werden können.“

Diese Vorschrift wird Kompensationsverbot genannt. Bei der strafrechtlichen Berechnung des Steuerverkürzungsbetrags soll keine „Kompensierung“ (Verrechnung) mit „Steuerermäßigungen“ möglich sein. Zweck dieser Vorschrift ist eine „Arbeitserleichterung“ für den Strafrichter. Der Strafrichter soll nicht den gesamten Steuerfall wie ein Finanzbeamter neu „aufrollen“ müssen.

Beispiel: Kompensationsverbot

Sachverhalt: Der Stpfl hat es mit der Kilometeranzahl bei der Entfernungspauschale „nicht so genau genommen“ und in seiner ESt-Erklärung dadurch zu hohe Werbungskosten erklärt. Dadurch ist eine Steuerverkürzung i. H. v. 1.000 € eingetreten. Zugleich hat er vergessen, außergewöhnliche Belastungen (Krankheitskosten) geltend zu machen, deren steuerliche Auswirkung ebenfalls 1.000 € beträgt. Die steuerliche Auswirkung bei einer „Gesamtbetrachtung“ beträgt daher 0 €. Aber auch strafrechtlich ein „Nullsummenspiel“?

Lösung: Strafrechtlich ist das kein „Nullsummenspiel.“ Für die Berechnung des Verkürzungsbetrags sind die außergewöhnlichen Belastungen auszublenden, weil sie dem Kompensationsverbot unterliegen (§ 370 Abs. 4 S. 3 AO). Es bleibt also bei einer Steuerverkürzung i. H. v. 1.000 €.

Hinweis: Im Besteuerungsverfahren sind die außergewöhnlichen Belastungen dagegen anzuerkennen.

Der „Klassiker“ zum Kompensationsverbot mit großer Praxis-Bedeutung sind USt-Fälle. Nach bisheriger ständiger BGH-Rspr. darf die USt auf bisher nicht oder zu niedrig erklärte Umsätze nicht mit der bisher nicht geltend gemachten Vorsteuer verrechnet werden.

Beispiel: Kompensationsverbot bei der USt

Sachverhalt: B betreibt einen Bratwurststand. Gelegentlich kauft B nach einem ausgeklügelten (aber praxisuntauglichen) System rohe Bratwürste, Senf und Ketchup „schwarz“ ein und verkauft die gleiche Anzahl Bratwürste sodann „schwarz“ vom Grill. Die Sache fliegt auf, weil der Betriebsprüfer anhand des ungewöhnlich hohen Serviettenverbrauchs nachkalkuliert, dass B tatsächlich viel mehr Bratwürste verkauft haben muss. Im Steuerstrafverfahren (wegen Hinterziehung von ESt, USt und GewSt) verteidigt sich B damit, zumindest die bisher nicht geltend gemachten Vorsteuern aus den „Schwarzeinkäufen“ (rohe Bratwürste, Senf, Ketchup) seien doch bei der Berechnung der USt-Verkürzung zu berücksichtigen. Mit Erfolg?

Lösung: B wird mit seinem „Vorsteuer-Einwand“ hinsichtlich der USt-Hinterziehung nicht gehört. Die Vorsteuern aus den „Schwarzeinkäufen“ (rohe Bratwürste, Senf, Ketchup) unterliegen dem Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO und reduzieren nicht den Verkürzungsbetrag.

Hinweis: Im Besteuerungsverfahren wäre der Vorsteuerabzug dagegen anzuerkennen, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen. Das setzt aber insb. ordnungsgemäße Eingangsrechnungen voraus, die in solchen Fällen normalerweise nicht vorliegen.

Der Ausgleich „unbilliger Ergebnisse“ des Kompensationsverbots erfolgt dann im Rahmen der Strafzumessung. Insb. ein bisher nicht geltend gemachter Vorsteuerabzug wirkt strafmildernd. Notfalls ist auch eine Schätzung der Vorsteuerbeträge möglich.

Achtung!

In einer Entscheidung vom 13.09.2018, 1 StR 642/17, gibt der BGH diese Rspr. teilweise auf. Vorsteuern können nunmehr bei der Ermittlung des Verkürzungsumfangs mindernd angesetzt werden, wenn ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz besteht und für die Eingangsumsätze ordnungsgemäße (Eingangs-)Rechnungen vorliegen. Insoweit gilt das Kompensationsverbot also nicht (mehr).

Einer DER „Knaller“ 2018 und sehr vorteilhaft für die Verteidigung!

Im obigen „Bratwurstfall“ sind daher nach geänderter Rspr. die Vorsteuern aus den „Schwarzeinkäufen“ (rohe Bratwürste, Senf, Ketchup) bei der Ermittlung des Verkürzungsbetrags abzuziehen, wenn insoweit ordnungsgemäße Eingangsrechnungen vorliegen. Liegen Eingangsrechnungen nicht vor, gilt wie bisher das Kompensationsverbot mit der Folge einer bloßen Berücksichtigung bei der Strafzumessung.

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