Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Author: Rico Deutschendorf

  • Differenzbesteuerung: Wiederverkäufer trägt Beweislast

    Der Bundesfinanzhof (BFH, 11.12.2024, XI R 15/21) hat bestätigt: Wer als Gebrauchtwagenhändler (Wiederverkäufer) die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG nutzen will, muss deren Voraussetzungen belegen können.

    Sachverhalt

    Im entschiedenen Fall handelte der Kläger (Wiederverkäufer) mit gebrauchten Autos. Diese kaufte er (angeblich) von Privatpersonen. Auf diese Umsätze wandte der Kläger die Differenzbesteuerung an.

    Gebrauchtwagenhandel (KI-generiert)

    In einer beim Kläger durchgeführten Betriebsprüfung wurden Unregelmäßigkeiten festgestellt. So waren z. B. in einigen Fällen der jeweilige Verkäufer nicht mit dem letzten eingetragenen Halter des angekauften Autos identisch. Verkaufsvollmachten des letzten Halters konnte der Kläger aber nicht vorlegen.

    Sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (Düsseldorf) lehnten die Differenzbesteuerung ab. Der BFH bestätigte diese Entscheidungen.

    Voraussetzungen der Differenzbesteuerung

    Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Differenzbesteuerung ist u. a., dass für die Vorlieferung (= Ankauf durch den Wiederverkäufer) keine Umsatzsteuer geschuldet wurde. Das ist insbesondere beim Ankauf von Privatpersonen der Fall.

    Die Differenzbesteuerung kann aber auch dann angewandt werden, wenn der Veräußerer ein Unternehmer ist und er seinerseits für die Vorlieferung die Differenzbesteuerung (zu Recht) vorgenommen hat.

    Feststellungslast trägt Wiederverkäufer

    Die (objektive) Beweislast bzw. Feststellungslast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Wiederverkäufer.

    Das bedeutet: Wenn das Finanzamt Umstände ermittelt, die gegen die Anwendbarkeit der Differenzbesteuerung sprechen, geht es zu Lasten des Wiederverkäufers, wenn sich am Ende nicht aufklären lässt, ob die Voraussetzungen der Differenzbesteuerung vorliegen oder nicht.

    Im konkreten Fall lagen auch keine Umstände vor, die beim Kläger einen Vertrauensschutz begründet hätten.

    Konsequenz: Regelbesteuerung mit Nachforderungen

    Die Weiterveräußerung durch den Wiederverkäufer unterliegt jetzt der Regelbesteuerung. Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer ist der Verkaufspreis (aus dem die Umsatzsteuer herauszurechnen) ist. Daraus können gravierende Umsatzteuer-Nachforderungen entstehen.

    Beispiel

    Wiederverkäufer W kauft von Privat (P) ein gebrauchtes Auto für 20.000,00 € und verkauft es für 22.000,00 € weiter.

    Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer ist die Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis (= 2.000,00 €). Aus dieser Differenz ist die Umsatzsteuer herauszurechnen, das entspricht 319,33 € Umsatzsteuer (Differenzbesteuerung).

    Abwandlung: Die Betriebsprüfung stellt fest, dass P tatsächlich keine Privatperson ist. Vielmehr war P (verdeckter) Vertreter eines Händlers, der nicht nach außen auftreten wollte und der seinerseits die Differenzbesteuerung zu Unrecht anwandte. Daraufhin wird W die Differenzbesteuerung versagt.

    Bemessungsgrundlage ist jetzt der Verkaufspreis (22.000,00 €), aus dem die Umsatzsteuer herauszurechnen ist. Das entspricht 3.512,61 € – also ca. dem 11-fachen der Umsatzsteuer, die bei Anwendung der Differenzbesteuerung anfallen würde!

    Auf dem Mehrbetrag (3.512,61 € ./. 319,33 € = 3.193,28 €, zuzüglich Nachzahlungszinsen) bleibt W „sitzen“, weil er (mangels ordnungsgemäßer Eingangsrechnung) keinen Vorsteuerabzug aus dem Ankauf des Autos geltend machen kann.

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  • „Amtliche Richtsatzsammlung des BMF auf dem Prüfstand“

    So lautet die – stark untertriebene – Überschrift einer Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs vom 25.09.2025.

    Mit Urteil vom 18.06.2025 (X R 19/21) hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Anforderungen an Schätzungen bei mangelhafter Kassenführung neu justiert und insbesondere die amtliche Richtsatzsammlung kritisch hinterfragt.

    Der Fall

    Ein Diskothekenbetreiber führte offene Ladenkassen ohne Einzelaufzeichnungen. Finanzamt und Finanzgericht schätzten die Umsätze anhand der Richtsatzsammlung für Gastronomiebetriebe (Rohgewinnaufschlag 300 %).

    Kernaussagen des BFH

    • Schätzungsmethoden: Finanzamt und Gerichte sind frei in der Wahl, müssen aber die plausibelste Methode wählen. Vorrangig ist meist eine innerbetriebliche Nachkalkulation gegenüber pauschalen Richtsätzen.
    • Zulässigkeit der Richtsätze: Grundsätzlich erlaubt – aber nur als Variante des äußeren Betriebsvergleichs. Der BFH äußert jedoch erhebliche Zweifel an ihrer Verlässlichkeit.
    • Kritikpunkte: Die Richtsätze beruhen auf Betriebsprüfungsfällen und sind damit statistisch verzerrt. Viele Unternehmenstypen fehlen. Zudem ist oft unklar, nach welchen Kriterien der passende Richtsatz ausgewählt wird.
    • Besonderheit im Fall: Eine Diskothek ist in der Sammlung gar nicht aufgeführt. Der Rückgriff auf Gastronomie-Richtsätze ohne Begründung war rechtsfehlerhaft.

    Einer der zentralen Leitsätze des BFH lautet:

    6. Es bestehen gegenwärtig erhebliche Zweifel, ob die amtliche Richtsatzsammlung in ihrer bisherigen Form eine geeignete Grundlage für einen äußeren Betriebsvergleich darstellt.

    Bedeutung für die Praxis

    Die Entscheidung schwächt den Stellenwert der Richtsatzsammlung. Berater und ihre Mandanten können künftig erfolgreicher einwenden, dass eine Schätzung anhand pauschaler Richtsätze ungeeignet ist. Innerbetriebliche Nachkalkulationen werden dagegen an Bedeutung gewinnen.

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  • Kein Anspruch auf Einsicht in anonyme Anzeige

    Der Bundesfinanzhof (BFH, 15.07.2025, IX R 25/24) entschied, dass Steuerpflichtige grundsätzlich keinen Anspruch auf Offenlegung des Inhalts einer anonymen Anzeige haben.

    Hintergrund

    Im Streitfall wollte eine Gesellschaft aus der Gastronomie den Inhalt einer anonymen Anzeige erfahren, die Anlass für eine Kassennachschau bei ihr war. Das Finanzamt verweigerte die Auskunft. Auch ein Antrag auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO blieb erfolglos. Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz: Weder aus der Abgabenordnung noch aus der DSGVO ergibt sich ein Anspruch auf Mitteilung der Anzeige.

    Kernaussagen

    • Ein Auskunfts- oder Einsichtsrecht besteht nur in Ausnahmefällen und unterliegt einer Interessenabwägung.
    • Das Geheimhaltungsinteresse der Finanzverwaltung und des Anzeigeerstatters überwiegt in der Regel.
    • Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO kann durch § 32c AO eingeschränkt werden.
    • Eine Pflicht zur Übersendung des vollständigen Dokuments (Anzeige) besteht nicht.

    Bedeutung für die Praxis

    Für Betroffene einer anonymen Anzeige heißt das: Wer Ziel einer anonymen Anzeige wird, erhält grundsätzlich keine Informationen über deren Inhalt oder Verfasser. Nur in seltenen Ausnahmefällen – etwa wenn die Behörde ohne Offenlegung die Rechte des Betroffenen schwer beeinträchtigt – kann Auskunft verlangt werden.

  • Einspruchsverfahren mit tatsächlicher Verständigung beendet

    Im November 2024 berichtete ich über die Beendigung eines Steuerstrafverfahrens. Meinem Mandanten wurde dort vorgeworfen, er habe unter dem Namen seines Vaters ein Unternehmen betrieben und keine bzw. verspätete Steuererklärungen abgegeben. Jetzt ging auch das parallel laufende Besteuerungsverfahren zu Ende.

    Paralleles Besteuerungsverfahren

    Parallel lief auch ein komplexes Besteuerungsverfahren gegen meinen Mandanten. Nach einer Betriebsprüfung erließ das Finanzamt Anfang 2022 zunächst Erst- und Änderungsbescheide (u. a. Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 2012 bis 2016) mit einer Nachforderung von ca. 435.000,00 € (zuzüglich Nebenforderungen).

    Gegen die Änderungsbescheide legte ich für meinen Mandanten Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung, nach Ablehnung beim Finanzamt sodann beim Finanzgericht. Nach einem Erörterungstermin am Finanzgericht setzte das Finanzamt die Vollziehung für die Jahre 2012-2014 komplett und für die Jahre 2015 und 2016 teilweise aus. Vorausgegangen war der teilweise Freispruch vor dem Amtsgericht Anfang 2023.

    Tatsächliche Verständigung im Einspruchsverfahren

    Im Einspruchsverfahren gelang es, das Finanzamt davon zu überzeugen, dass Unternehmensinhaber bzw. Unternehmer in den Jahren 2012 bis 2014 nicht mein Mandant, sondern dessen Vater war. Hierzu und zu weiteren Punkten schloss ich für meinen Mandanten eine tatsächliche Verständigung mit dem Finanzamt ab. In deren Folge hob das Finanzamt die Bescheide für 2012 bis 2014 ersatzlos auf. Die Bescheide für 2015 und 2016 wurden noch teils erheblich reduziert.

    Damit blieben beim Mandanten „nur“ noch ca. 95.000,00 € Steuernachforderungen (zuzüglich Nebenforderungen) „hängen“ – ca. 340.000 € (zuzüglich Nebenforderungen) „gespart.“ Die verbleibenden Steuernachforderungen wurden bereits überwiegend beglichen.

    Praxis-Tipp und Fazit

    Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren sind zwei völlig unabhängige Verfahren, die auch meist parallel ablaufen. Trotzdem gibt es zwischen beiden Verfahren Wechselwirkungen, wie dieser Fall zeigt: Ohne Teilfreispruch im Steuerstrafverfahren vor dem Amtsgericht wäre das Einspruchsverfahren voraussichtlich nicht auf diese Weise beendet worden, sondern man hätte noch zum Finanzgericht gehen müssen.

    Steuerstreit lohnt sich oft, auch wenn es am Anfang aussichtslos aussehen sollte.

  • „Stolperfallen“ bei der Durchsetzung von DSGVO-Auskunftsansprüchen gegenüber dem Finanzamt

    Art. 15 Abs. 1 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gibt jedem das Recht zu erfahren, welche personenbezogenen Daten über ihn gespeichert und verarbeitet werden. Auch gegenüber dem Finanzamt können Sie eine solche Auskunft verlangen. Das Finanzamt muss zudem eine Kopie der personenbezogenen Daten zur Verfügung stellen.

    Doch gerade hier gibt es einige Stolperfallen und Besonderheiten, die Sie kennen sollten. In diesem Beitrag erfahren Sie, worauf Sie bei einer Anfrage nach Art. 15 DSGVO beim Finanzamt achten müssen und wie Sie typische Fehler vermeiden.

    Antragstellung

    Der Steuerpflichtige muss zunächst einen Antrag auf Auskunft beim Finanzamt stellen. Meist wird man sich an „sein“ Finanzamt wenden, so dass schon klar ist, dass dort personenbezogene Daten verarbeitet werden. Die Bestätigung („ob“) ist daher im Normalfall überflüssig.

    Der Antrag sollte möglichst präzise formuliert sein (§ 32c Abs. 2 AO), am besten auch unter Verweis auf Art. 15 DSGVO. Die Person, die Auskunft begehrt, muss klar identifizierbar sein.

    Der Antrag darf nicht offenkundig unbegründet sein und auch nicht „exzessiv“ gestellt werden, z. B. nur um das Finanzamt zu beschäftigen. In diesem Fall darf das Finanzamt ein angemessenes Entgelt für die Auskunft verlangen oder die Auskunft verweigern (s. dazu BFH, 12.03.2024, IX R 35/21).

    Keine Akteneinsicht

    Aus Art. 15 DSGVO ergibt sich kein Recht auf Akteneinsicht.

    Keine Kopie der Steuerakte

    Fraglich ist, was unter einer „Kopie“ (Art. 15 Abs. 3 DSGVO) zu verstehen ist. Man könnte meinen, dass ein Anspruch auf Überlassung einer (Papier-)Kopie der Steuerakte besteht. Anders aber die Rechtsprechung: Art. 15 Abs. 3 DSGVO gehe nicht über den Anspruch aus Abs. 1 hinaus. Der Begriff „Kopie“ beziehe sich nicht auf ein (Papier-)Dokument als solches, sondern nur auf die personenbezogenen Daten, die es enthält und die vollständig sein müssen. Die Kopie muss daher (nur) alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind (BFH, 07.05.2024, IX R 21/22, Rn. 38). Sie erhalten daher im Normalfall eine Übersicht (Ausdruck) der gespeicherten Daten, aber keine Kopien aller Schriftstücke.

    Ausnahme: Nur wenn die Zurverfügungstellung einer (Akten-)Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung ihrer Rechte aus der DSGVO zu ermöglichen, besteht Anspruch darauf, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken zu erhalten (BFH, 07.05.2024, IX R 21/22, Rn. 39).

    „Unverhältnismäßiger Aufwand“ zählt nicht

    Das Finanzamt darf den Antrag auf Auskunft nicht mit dem Einwand ablehnen, die Auskunftserteilung sei mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden (BFH, 14.01.2025, IX R 25/22).

    Reaktionszeit des Finanzamtes

    Das Finanzamt muss die Auskunft unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags erteilen. Die Frist kann in komplexen Fällen um zwei weitere Monate verlängert werden (Art. 12 Abs. 3 DSGVO).

    Kein Einspruchsverfahren

    Wenn der Antrag auf Auskunft vom Finanzamt ganz oder teilweise abgelehnt wird, ist man vielleicht geneigt, Einspruch dagegen einzulegen. Anders als im normalen Besteuerungsverfahren ist bei DSGVO-Auskünften aber kein Einspruchsverfahren vorgesehen (§ 32i Abs. 9 S. 1 AO).

    Wird die Auskunft vom Finanzamt verweigert, darf also kein Einspruch eingelegt werden. Ein trotzdem beim Finanzamt eingelegter Einspruch wäre unzulässig. Stattdessen muss gegen die Ablehnung des Finanzamtes direkt Klage beim Finanzgericht eingereicht werden.

    Klagefrist beachten

    Bei der Klage zum Finanzgericht ist eine Frist (Klagefrist) zu beachten. Diese beträgt einen Monat ab Bekanntgabe der Ablehnung durch das Finanzamt (§ 47 Abs. 1. S. 2 FGO), da es sich hier um eine so genannte Verpflichtungsklage handelt (BFH, 06.05.2025, IX R 2/23).

    Die Ablehnung des Finanzamtes ist ein Bescheid (Verwaltungsakt). Dieser gilt grundsätzlich am vierten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Wurde die Ablehnung zugestellt (z. B. mit Zustellungsurkunde), ist das Datum der Zustellung maßgeblich.

    Die Ablehnung ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Wenn die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder falsch ist, kann noch innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe der Ablehnung Klage erhoben werden (§ 55 FGO).

    Gegenstands- bzw. Streitwert

    Für eine Klage, in der ein Auskunftsrecht gemäß Art. 15 DSGVO geltend gemacht wird, ist grds. der Auffangstreitwert i. H. v. 5.000,00 € (§ 52 Abs. 2 GKG) zugrunde zu legen (BFH, 15.05.2024, IX S 14/24).

    Praxis-Tipp

    Kostenrisiko: Ausgehend vom Auffangstreitwert entstehen (mindestens) Anwaltskosten i. H. v. ca. 1.200,00 € und Gerichtskosten i. H. v. 682,00 €. Das muss man mit einplanen bei der Entscheidung, ob sich die Auskunft „lohnt.“

  • „Zufallsfund“ bei Akteneinsicht am Finanzgericht: Steuerstrafverfahren längst eingestellt

    Im Finanzgerichtsverfahren ergibt sich aus § 78 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein Anspruch auf Akteneinsicht. Häufig hat man als Steuerpflichtiger oder Berater auch erstmals vor dem Finanzgericht die Möglichkeit, die Akten des Finanzamtes einzusehen. Im Besteuerungsverfahren vor dem Finanzamt gibt es grundsätzlich kein Recht auf Akteneinsicht.

    Im Normalfall sollte man das Recht auf Akteneinsicht auch nutzen. Eine Klage- oder Antragsbegründung ohne vorherige Akteneinsicht ist mindestens fahrlässig.

    Bei der Akteneinsicht erlebe ich immer wieder Überraschungen, wie der folgende Fall zeigt:

    Angebliche Provisionszahlungen

    Aufgrund von Kontrollmitteilungen wirft das Finanzamt meinem Mandanten vor, er habe in den Jahren 2014 und 2015 Provisionen für die Vermittlung von Aufträgen erhalten. Diese Provisionen habe er nicht versteuert. Mein Mandant bestreitet den Erhalt der Provisionen.

    Mein Mandant erhielt geänderte Einkommensteuerbescheide mit Steuernachforderungen, gegen die ich für meinen Mandanten das Einspruchsverfahren führte. Parallel wurde gegen meinen Mandanten im Jahr 2021 ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet und bekannt gegeben.

    „Zufallsfund“: Einstellung des Steuerstrafverfahrens

    Anfang 2025 kam die Einspruchsentscheidung des Finanzamtes und daraufhin erhob ich für meinen Mandanten Klage beim Finanzgericht. Im Rahmen der Akteneinsicht Anfang Juni 2025 machte ich eine überraschende Entdeckung: In der Einkommensteuerakte des Finanzamtes fand ich die Kopie eines Schreibens der Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) aus Dezember 2022 (!). Darin heißt es, dass das Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten gemäß § 170 Abs. 2 StPO – also mangels hinreichenden Tatverdachts – eingestellt wurde.

    Erstaunlich: Weder mein Mandant noch ich hatten das besagte Schreiben erhalten. Vielmehr gingen wir bis jetzt davon aus, dass das Ermittlungsverfahren noch läuft. Es wird sich noch zeigen, ob und wie das Schreiben der BuStra auch für die Klagebegründung fruchtbar gemacht werden kann.

    Fazit und Praxis-Tipp

    Akteneinsicht beim Finanzgericht lohnt sich (fast) immer.

    Eine lange Verfahrensdauer ist in Steuerstrafsachen nicht ungewöhnlich. Eine (über-)lange Verfahrensdauer und auch der bloße Zeitablauf wirken sich strafmildernd aus. Daher ist es in vielen Fällen sinnvoll, das Ermittlungsverfahren „auszusitzen“, auch wenn der Mandant das Verfahren verständlicherweise möglichst schnell vom Tisch haben möchte.

  • Kein Akteneinsichtsrecht aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

    „Ich möchte mal meine Akte beim Finanzamt einsehen“ – ein berechtigter Wunsch vieler Mandanten, der in der Praxis aber meist nicht umsetzbar ist.

    Kein Recht auf Akteneinsicht aus der Abgabenordnung

    Leider ergibt sich aus der Abgabenordnung (AO) kein Recht auf Akteneinsicht in die Akten des Finanzamtes. Weder aus § 91 Abs. 1 AO (Anhörung Beteiligter) noch aus § 364 AO (Offenlegung der Besteuerungsunterlagen) oder dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO).

    Es besteht nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch. Dem Finanzamt ist es nämlich nicht verboten, Akteneinsicht zu gewähren. Bei einer Ablehnung der Akteneinsicht muss es jedoch seine Ermessenserwägungen begründen.

    Keine Akteneinsicht über Datenschutz-Grundverordnung

    Es war lange streitig, ob ein Recht auf Akteneinsicht aus Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) abzuleiten ist. Mit Urteil vom 20.09.2024, Aktenzeichen: IX R 24/23, entschied der Bundesfinanzhof (BFH) jedoch, dass sich auch aus Art. 15 DSGVO kein Anspruch auf Akteneinsicht ergibt.

    Die DSGVO gewähre (nur) ein Auskunftsrecht über personenbezogene Daten, jedoch kein umfassendes Akteneinsichtsrecht. Dieses Auskunftsrecht beziehe sich auf die Bereitstellung von Kopien personenbezogener Daten, nicht auf die Einsichtnahme in Originalakten.

  • Anweisungen der Finanzverwaltung für das Steuerstrafverfahren – AStBV (St) 2025

    Wer Steuerstrafverteidigung betreibt, kommt an den Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer), kurz: AStBV (St), nicht vorbei. Dabei handelt es sich – wie die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) – um eine Verwaltungsvorschrift, die grundsätzlich keine Außenwirkung hat.

    Die AStBV (St) enthalten insbesondere die Auffassung der Finanzverwaltung bei streitigen Rechtsfragen zum Steuerstrafrecht, gelten nur für das Steuerstrafverfahren und sind für alle BuStra-/StraBu- und Steufa-Bediensteten verbindlich. Daraus kann sich i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG eine Selbstbindung der Verwaltung ergeben.

    Die AStBV (St) werden regelmäßig aktualisiert und neu veröffentlicht. Seit dem 01.04.2025 gelten die AStBV (St) 2025.

  • Umsatzsteuer: Steuerhinterziehung bei Sollversteuerung

    Die Unterscheidung zwischen Sollversteuerung und Istversteuerung bei der Umsatzsteuer ist vor allem für die Liquiditätsplanung von Unternehmen von zentraler Bedeutung. Bei der Sollversteuerung bestehen manchmal Fehlvorstellungen über den Zeitpunkt, zu dem die Umsatzsteuer erklärt und an das Finanzamt abgeführt werden muss.

    Manchmal wird auch versucht, die Entstehung der Umsatzsteuer vorbei am Gesetz zu „gestalten“ – mit gravierenden steuerstrafrechtlichen Konsequenzen.

    Beispiel

    G ist Geschäftsführer einer Garten- und Landschaftsbau GmbH (Sollversteuerung, Pflicht zur monatlichen Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen, keine Dauerfristverlängerung). Im Oktober 2024 (Fertigstellung) plastert er den Hof eines Kunden. Die Rechnung erstellt er im Januar 2025 und der Kunde bezahlt im Februar 2025.

    G erklärt die Umsatzsteuer aus diesem Projekt in der Umsatzsteuer-Voranmeldung der GmbH für

    a) Oktober 2024,
    b) Januar 2025 oder
    c) Februar 2025.

    Was ist richtig?

    Unterschied zwischen Soll- und Istversteuerung

    Sollversteuerung (Versteuerung nach vereinbarten Entgelten, § 16 Abs. 1 S. 1 UStG) ist der Regelfall im Umsatzsteuerrecht. Hier entsteht die Umsatzsteuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistung ausgeführt wurde (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 a UStG). Maßgeblich ist also allein die (vollständige) Erbringung der Leistung. Unabhängig davon, wann eine Rechnung darüber erstellt wird und wann der Leistungsempfänger tatsächlich zahlt. Die Umsatzsteuer muss daher regelmäßig aus eigenen Mitteln des Unternehmers vorfinanziert werden.

    Bei der Istversteuerung (Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten, § 20 UStG) entsteht die Umsatzsteuer dagegen (erst) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 b UStG), wenn das Geld also tatsächlich beim Unternehmer eingeht.

    Richtigerweise gehört der Umsatz im Beispielsfall in die Umsatzsteuer-Voranmeldung für Oktober 2024 (Variante a). Bis zum 11.11.2024 (der 10.11.2024 war ein Sonntag, so dass der nächstfolgende Werktag maßgeblich ist, § 108 Abs. 3 AO) hätte der Umsatz gegenüber dem Finanzamt erklärt und die Umsatzsteuer abgeführt werden müssen. Fehlt in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Oktober 2024 dieser Umsatz, dann ist die Voranmeldung unrichtig bzw. unvollständig.

    Steuerstrafrechtliche Relevanz

    Wer als Sollversteuerer die Umsatzsteuer erst bei Zahlungseingang erklärt, riskiert – neben steuerrechtlichen Problemen wie Verspätungs- und Säumniszuschlägen – erhebliche steuerstrafrechtliche Konsequenzen.

    Konkretisierung des Beispiels

    Die GmbH ist im November 2024 finanziell „klamm.“ Daher beschließt G, die Rechnung bewusst erst im Januar 2025 zu stellen, damit seine Umsatzsteuer-Zahllast für Oktober 2024 nicht so hoch ist. Nachdem der Kunde im Februar 2025 gezahlt hat, erklärt G den Umsatz in der Umsatzsteuervoranmeldung für Februar 2025 und führt die Umsatzsteuer an das Finanzamt ab.

    Die Abgabe einer unrichtigen bzw. unvollständigen – auch einer verspäteten – Umsatzsteuer-Voranmeldung erfüllt den objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO).

    Steuerhinterziehung setzt weiterhin voraus, dass im Zeitpunkt der Tat vorsätzlich gehandelt wurde. Vorsatz erfordert, dass der Handelnde den (höheren) Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn – den Steueranspruch – auch verkürzen will bzw. sich mit der Verkürzung abfindet (so genannte Steueranspruchstheorie). Das erfordert auch lediglich eine „Parallelwertung in der Laiensphäre.“

    G hat nach diesem Maßstab vorsätzlich gehandelt. Vorsicht: Wenn sich G damit verteidigt, er habe die Rechnung bewusst „verschoben“, weil ein Liquiditätsproblem bestand, dokumentiert er damit noch seinen Vorsatz. Allerdings könnte ihm dann das Liquiditätsproblem strafmildernd angerechnet werden. Unter Umständen kann die „Nacherklärung“ auch als strafbefreiende Selbstanzeige (§ 371 Abs. 2a AO) gewertet werden.
    Fazit und Praxis-Tipp

    Bei der Sollversteuerung ist die Umsatzsteuer zu erklären und fällig, wenn die Leistung erbracht wurde. Die Umsatzsteuer darf nicht erst bei Zahlungseingang erklärt werden. Wer dies dennoch bewusst tut, riskiert steuerstrafrechliche Ermittlungen und Sanktionen.

    In der Praxis wird Vorsatz von den Strafverfolgungsbehörden regelmäßig unterstellt. Dann ist es Aufgabe der Verteidigung, dagegen anzukämpfen, wenn das ein realistisches Ziel ist. Die Grenzen zur leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) sind fließend. Oft werden Vorsatzprobleme in der Praxis durch Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage (§ 153a StPO) gelöst. Das ist nicht immer die „saubere“ Lösung, aber wirtschaftlich meistens sinnvoll.

  • Betriebsprüfung: Mehrzahl oder Einzahl, das ist hier die Frage

    Aktuell vertrete ich einen Autohändler in einer Betriebsprüfung und verteidige ihn parallel im Steuerstrafverfahren. Im Exposé der Betriebprüfung (Entwurf des Betriebsprüfungsberichts) heißt es u. a. , dass dem Finanzamt Anzeigen (Mehrzahl!) von Kunden meines Mandanten vorliegen würden. Darin werde detailliert geschildert, dass mein Mandant durch „geschönte Kaufverträge“ die tatsächlichen Verkaufpreise „für die Steuer“ künstlich mindern wollte.

    Im Rahmen der Akteneinsicht im Steuerstrafverfahren fand ich die (angeblichen) Kundenanzeigen jedoch nicht in der Ermittlungsakte. Auf meine Anforderung bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) erhielt ich eine einzige (!) anonymisierte Anzeige, die zudem gespickt ist mit Vermutungen. Weitere Anzeigen lägen der Betriebsprüfung nicht vor, so die BuStra.

    Praxis-Tipp

    Man sollte als Berater nicht alles hinterfragen, aber jedenfalls die „Feststellungen“ in einem Betriebsprüfungsbericht oder Exposé.
  • Akteneinsicht: Finanzgericht verweigert Einblick in „Sonderakte“

    Im Finanzgerichtsverfahren ergibt sich für den Steuerpflichtigen bzw. seinen Berater aus § 78 S. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein Recht auf Akteneinsicht in die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten. Bei den „vorgelegten Akten“ handelt es sich um die für den Streitfall relevanten Akten des Finanzamtes, z. B. Haftungsakten, Rechtsbehelfsakten und Akten der Betriebsprüfung.

    „Sonderakte“ vorenthalten und ans Finanzamt zurückgesandt

    In einem Finanzgerichtsverfahren hatte ich neulich einen Termin zur Akteneinsicht. Zuvor hatte das Finanzamt im Rahmen der Aktenübersendung mitgeteilt, dass

    „… die Akten keine durch das Steuergeheimnis geschützten Daten bzw. Vorgänge über Verhältnisse Dritter“

    enthalten.

    Einen Tag nach meiner Akteneinsicht erhielt ich ein Schreiben der Berichterstatterin an das Finanzamt zur Kenntnis. Darin heißt es:

    „… in Vorbereitung der Akteneinsichtnahme durch Herrn Rechtsanwalt Deutschendorf ist aufgefallen, dass sich unter den übersandten Akten auch eine Sonderakte mit der Kennzeichnung ‚Nur für das Finanzamt bestimmte Unterlagen‘ befand. Diese Akte schicken wir unbesehen an Sie zurück; sie wurde auch Herrn Rechtsanwalt Deutschendorf nicht zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt.“

    Umfang des Akteneinsichtsrechts und Ausnahmen

    Das Akteneinsichtsrecht umfasst grundsätzlich alle dem Finanzgericht tatsächlich vorgelegten Akten. Ein Akteneinsichtsgesuch darf das Finanzgericht nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (z. B. BFH, 21.04.2023, III B 41/22, Rn. 14 mit weiteren Nachweisen) nur verweigern, wenn besondere (Ausnahme-)Gründe vorliegen, insbesondere:

    • Fälle des § 78 Abs. 4 FGO
    • Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses oder Datenschutzes
    • rechtsmissbräuchliche Ausübung des Akteneinsichtsrechts bzw. Prozessverschleppung

    Verweigerung der Akteneinsicht rechtswidrig

    Solche Ausnahmegründe sind hier nicht ersichtlich. Allein der Verweis auf die Kennzeichnung „Nur für das Finanzamt bestimmte Unterlagen“ genügt nicht. Das Gericht hätte vielmehr anhand des Inhalts der „Sonderakte“ prüfen müssen, ob bzw. dass der Vermerk berechtigte Interessen schützt und ein besonderer Ausschlussgrund vorliegt. Das ist hier offensichtlich nicht geschehen („unbesehen“).

    Zudem ist es hier wahrscheinlich, dass das Finanzamt diese „Sonderakte“ nicht versehentlich an das Gericht übersandt, sondern entgegen dem Vermerk durch Übersendung ans Gericht auch die Freigabe zur Akteneinsicht erteilt hat. Dafür spricht, dass das Finanzamt mitteilte, dass die übersandten Akten „keine durch das Steuergeheimnis geschützten Daten bzw. Vorgänge über Verhältnisse Dritter“ enthalten.

    Diese Umstände hätten vor Rücksendung der „Sonderakte“ vom Gericht aufgeklärt werden müssen und es hätte mir vorher Gelegenheit zur Stellungnahme und damit rechtliches Gehör gewährt werden müssen. Ich habe daher diese Vorgehensweise beanstandet und beantragt, dass das Finanzamt die betreffende „Sonderakte“ nochmals an das Gericht übersendet und mir gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 FGO Akteneinsicht in diese „Sonderakte“ gewährt wird.

  • Fünfeinhalb Jahre Betriebsprüfung – ohne Feststellungen

    Was lange währt wird endlich gut: Im Januar 2025 ging eine Betriebsprüfung zu Ende, die ich neben dem Steuerberater meiner Mandantin – eine GmbH & Co. KG – begleitete. Die zugrundeliegende Prüfungsanordnung war aus September 2019.

    Die Prüfung endete ohne Feststellungen oder Beanstandungen – auch so etwas gibt es.