Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Tag: Verfahren

  • „Zufallsfund“ bei Akteneinsicht am Finanzgericht: Steuerstrafverfahren längst eingestellt

    Im Finanzgerichtsverfahren ergibt sich aus § 78 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein Anspruch auf Akteneinsicht. Häufig hat man als Steuerpflichtiger oder Berater auch erstmals vor dem Finanzgericht die Möglichkeit, die Akten des Finanzamtes einzusehen. Im Besteuerungsverfahren vor dem Finanzamt gibt es grundsätzlich kein Recht auf Akteneinsicht.

    Im Normalfall sollte man das Recht auf Akteneinsicht auch nutzen. Eine Klage- oder Antragsbegründung ohne vorherige Akteneinsicht ist mindestens fahrlässig.

    Bei der Akteneinsicht erlebe ich immer wieder Überraschungen, wie der folgende Fall zeigt:

    Angebliche Provisionszahlungen

    Aufgrund von Kontrollmitteilungen wirft das Finanzamt meinem Mandanten vor, er habe in den Jahren 2014 und 2015 Provisionen für die Vermittlung von Aufträgen erhalten. Diese Provisionen habe er nicht versteuert. Mein Mandant bestreitet den Erhalt der Provisionen.

    Mein Mandant erhielt geänderte Einkommensteuerbescheide mit Steuernachforderungen, gegen die ich für meinen Mandanten das Einspruchsverfahren führte. Parallel wurde gegen meinen Mandanten im Jahr 2021 ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet und bekannt gegeben.

    „Zufallsfund“: Einstellung des Steuerstrafverfahrens

    Anfang 2025 kam die Einspruchsentscheidung des Finanzamtes und daraufhin erhob ich für meinen Mandanten Klage beim Finanzgericht. Im Rahmen der Akteneinsicht Anfang Juni 2025 machte ich eine überraschende Entdeckung: In der Einkommensteuerakte des Finanzamtes fand ich die Kopie eines Schreibens der Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) aus Dezember 2022 (!). Darin heißt es, dass das Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten gemäß § 170 Abs. 2 StPO – also mangels hinreichenden Tatverdachts – eingestellt wurde.

    Erstaunlich: Weder mein Mandant noch ich hatten das besagte Schreiben erhalten. Vielmehr gingen wir bis jetzt davon aus, dass das Ermittlungsverfahren noch läuft. Es wird sich noch zeigen, ob und wie das Schreiben der BuStra auch für die Klagebegründung fruchtbar gemacht werden kann.

    Fazit und Praxis-Tipp

    Akteneinsicht beim Finanzgericht lohnt sich (fast) immer.

    Eine lange Verfahrensdauer ist in Steuerstrafsachen nicht ungewöhnlich. Eine (über-)lange Verfahrensdauer und auch der bloße Zeitablauf wirken sich strafmildernd aus. Daher ist es in vielen Fällen sinnvoll, das Ermittlungsverfahren „auszusitzen“, auch wenn der Mandant das Verfahren verständlicherweise möglichst schnell vom Tisch haben möchte.